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Sarrazin und die SPD: Eine Frage der Integration

Sarrazin bedauert – aber was? Es lag ihm fern, Migranten zu diskriminieren. Abgesehen von nutzlosen Obsthändlern, die Kopftuchmädchen produzieren? Nur wer sein Buch tatsächlich nicht kennt, kann damit zufrieden sein, wie der Streit mit der SPD beigelegt wurde.

Thilo Sarrazins liebstes Argument in jeder Zitateschlacht war stets: „Sie haben mein Buch nicht gelesen!“ Die Erklärung, mit der er jetzt seinen Ausschluss aus der SPD abwenden konnte, setzt voraus, dass er recht damit hat. Denn nur, wer sein Buch tatsächlich nicht kennt, kann sich zufriedengeben damit, wie der Streit zwischen dem Autor und seiner Partei jetzt beigelegt wurde.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte Sarrazins Buch gelesen – und er kam zu dem Schluss: „Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen.“ Gabriel kann nicht zufrieden sein.

Die SPD musste sich das Problem Sarrazin vom Hals schaffen. Sarrazin selbst wäre sie nicht so schnell losgeworden: Anhörungen, Entscheidungen, Widersprüche, und das monatelang – das Verfahren wegen parteischädigenden Verhaltens drohte selbst zu einem solchen zu werden, zumal vor der Wahl in Berlin. So konnte die Lösung nur sein, das Verfahren zu beenden, so schnell und leise wie möglich. Als Grundlage dafür soll nun die Erklärung Sarrazins dienen. Aber wer meint, die Worte darin seien versöhnlich, einsichtig oder bedauernd, dem könnte Sarrazin ganz zu Recht sagen: Sie haben weder mein Buch noch meine Erklärung gelesen. Jedenfalls nicht richtig.

Im Buch schreibt Sarrazin, Menschen seien intellektuell mehr oder weniger begabt, fauler oder fleißiger, und dass „noch so viel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert“. Bildung und Chancengleichheit, die sozialdemokratischen Zutaten für den sozialen Aufstieg: vergebliche Mühe. In der Erklärung entspricht es dagegen nicht seiner Überzeugung, „Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden“. Und weiter: „Ich habe in meinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen.“ Im Buch, in dem der Misserfolg eines großen Teils von Kindern aus der Unterschicht wegen der „gemäß den Mendelschen Gesetzen … intellektuellen Ausstattung ihrer Eltern“ bereits besiegelt ist, schlägt Sarrazin vor, für jedes Kind einer Mutter unter 30 mit abgeschlossenem Studium 50 000 Euro zu zahlen. Dies „dürfte allerdings nur selektiv eingesetzt werden, nämlich für jene Gruppen, bei denen eine höhere Fruchtbarkeit zur Verbesserung der sozioökonomischen Qualität der Geburtenstruktur besonders erwünscht ist“. In der Erklärung heißt es dazu: „Ich habe mit meinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt.“

Und so geht es weiter. Wort für Wort, Satz für Satz. Zu jedem gibt es eine Entsprechung und einen Widerspruch, je nach Bedarf zur Verstärkung oder zur Abschwächung, ein pseudoakademischer Wettbewerb, bei dem die SPD nicht gewinnen konnte. Sarrazin bedauert – aber was? Dass diejenigen Mitglieder seiner Partei, die „sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen“ – sein Buch nicht gelesen haben. Er erklärt nichts, er behauptet. Es lag ihm fern, Migranten zu diskriminieren. Abgesehen von nutzlosen Obsthändlern, die kleine Kopftuchmädchen produzieren?

Seinem Buch hatte Sarrazin ein Zitat des SPD-Gründervaters Ferdinand Lassalle vorangestellt: „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“ Sarrazin und die SPD haben wieder zueinandergefunden.

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