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Meinung: Sauber gestrickt

Am Chaos um die Praxisgebühr ist nicht die Regierung schuld

Zu den wichtigsten Utensilien der Regierung Schröder zählten einst Cohibas, Brioni-Anzüge oder die von Hans Eichel eifrig gesammelten Sparschweine. Unverzichtbares Requisit in den ersten vier Schröder- Jahren aber war unbestritten auch die heiße Nadel. Sie half bei einer ganzen Latte von Reformen – es sei hier aus Platzgründen nur an das so genannte Scheinselbstständigkeitsgesetz oder das 630-Mark-Gesetz erinnert, die rasch beschlossen waren, aber ebenso rasch wieder umgestrickt oder ganz einkassiert wurden. Auf die heiße Nadel folgte in der Regel das Nachbessern, Versuch und Irrtum avancierten zum Leitmotiv rot-grünen Regierens. Vergangenheit. Ja, wirklich?

Dieser Tage sind Déjà-vu-Erlebnisse nicht ganz zu verdrängen. Bei der Umsetzung der Gesundheitsreform hakt es gleich an mehreren Ecken. Die Praxisgebühr von zehn Euro scheint alle zu überfordern. Erst jetzt und damit ein wenig spät diskutieren die Verantwortlichen über Sonderregeln etwa für Antibabypillen-Konsumentinnen. Sie sollen nicht für jedes neue Pillenrezept zehn Euro Praxisgebühr bezahlen, was ja auch Sinn macht, bisher aber nicht eindeutig festgelegt wurde, wodurch nun der Eindruck von Chaos entsteht. Hat die Regierung also mal wieder geschlampt, wie es ihr die Kritiker aus Verbänden und Opposition gerade vorwerfen? Ist das Nachbessern noch immer das rot-grüne Lieblingsprojekt?

Dass Unionspolitiker wie Jürgen Rüttgers jetzt wegen nachlässiger Umsetzung den Rücktritt von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt fordern, ist schlechter politischer Stil. Schließlich ist die Reform samt Praxisgebühr ein Gemeinschaftsprodukt von Regierung und Union. Ein bisschen mehr Mitverantwortung für diese Reform stünde der Union gut an, schon der Redlichkeit wegen. So aber wird klar, dass der Konsens vom Sommer vor allem ein fauler Kompromiss ist, weil nicht mal alle politisch Beteiligten zu dem Kompromiss stehen. Von den Nichtpolitikern ganz zu schweigen.

Akteure wie Ärzte, Krankenkassen und kommunale Selbstverwaltungen beweisen dieser Tage mal wieder eindrucksvoll, dass sie mehr Eigenständigkeit im Gesundheitswesen zwar gerne fordern, dazu aber nicht in der Lage sind. Fast alle noch offenen und somit Chaos stiftenden Reformfragen hätten sie selbst längst regeln können. Sie hatten viele Monate zur Vorbereitung. Der Gesetzgeber muss sich nicht um jeden Einzelfall persönlich kümmern. Dafür gibt es nun mal die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Nein, die heiße Nadel ist diesmal unschuldig.

Markus Feldenkirchen

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