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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat 1991 die Abgeordneten im Deutschen Bundestag für den Umzug von Bonn nach Berlin erwärmen können.

© dpa

Schäuble: Erst der Hauptstadtumzug, jetzt Griechenland und Europa

Bundesfinanzminister Schäuble muss wieder alles geben. So wie damals, 1991, als er mit seiner Rede die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zum Votum für Berlin bewegen konnte. Heute geht es um ungleich mehr.

Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muss, und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muss, wenn es seiner Verantwortung für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gerecht werden will.“

Der das sagte, heute vor zwanzig Jahren, heißt Wolfgang Schäuble. Er sagte es unter dem lang anhaltenden Beifall des Bundestages, der Vertretung des Souveräns, der wir Bürger sind. Diese Rede war eine der folgenreichsten der Nachkriegszeit, die mit dem Beschluss für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin in der Tat zu Ende ging. Und es war dieser Mann, der Verhandlungsführer, der Architekt für die Einheit Deutschlands, der einen weiteren historischen Moment schuf.

Es mutet an wie eine Ironie der Geschichte, dass nun, zwanzig Jahre später, Wolfgang Schäuble wieder als Verhandlungsführer, wieder als Architekt gefragt ist – diesmal aber, um den zweiten Teil des deutschen Versprechens zu erfüllen: die Einheit Europas zu verwirklichen, und sie dort, wo sie erreicht ist, zu hüten.

Die ganze Last der Verantwortung ruht auf Schultern, die nur schmal erscheinen. Schäubles Fragilität, dem Leben im Rollstuhl geschuldet, ist der irreführende, von Zeit zu Zeit wiederkehrende Eindruck. Soll sich niemand täuschen lassen: Gerade dieses Leben, in dem sein Kopf der Kosmos ist, führt ihn dazu, sich auf das zu besinnen, was Deutschland erst seine hellsten und glücklichsten Stunden nach der Finsternis ermöglicht hat. Ohne Übertreibung ist es so, dass Schäuble einer historischen Mission folgt. Gibt es sonst einen in der deutschen Politik, über den das zu sagen wäre?

Eben weil er Berlin als Bundeshauptstadt erkämpft hat, muss er jetzt um Europa und den Euro als sichtbarstes Zeichen der Integration kämpfen. Und weil er in aller Öffentlichkeit Mal um Mal erklärt hat, dass wir Deutsche gute Europäer sein werden. Schäuble muss wieder alles geben, wieder in Verhandlungen helfen, jetzt in europäischen, alles zum Guten zu wenden.

Was Schäuble mit den Sozialdemokraten gemein hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Prinzipienstärke ist seine Stärke – und die Kenntnis von Verträgen. Sein Vertrag mit uns, dem Volk, ist, dass er Schaden von uns abwenden muss. Das gilt mit seinem Schwur als Bundesminister der Finanzen, das gilt als Mitglied des Europäischen Finanzministerrats. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich, weil auch jenseits von allem Erhabenen die Grundrechenarten gelten, wie er sagen würde. Danach profitiert Deutschland von Europa, von EU-Europa, am meisten. Und um ein Argument der Sozialdemokraten aufzunehmen, das auch Schäubles sein könnte: Wenn wir für den Aufbau Ost bisher ungefähr 100 Prozent einer Jahreswirtschaftsleistung vor der Wiedervereinigung aufgebracht und transferiert haben, dann ist uns Europa nicht 10 Prozent wert?

Seinen eigentlichen Vertrag mit dem Volk aber hat Schäuble am 20. Juni 1991 geschlossen, er hat sich damit größtmögliche Verantwortung aufgeladen. Seine Rede damals war ein Versprechen, dem die Mehrheit der Abgeordneten gefolgt ist und die Mehrheit der Bevölkerung im vereinten neuen Deutschland. Seine Rede hat das Land verändert. Deutschland heute: Es ist, wie es ist, durch den Umzug nach Berlin. Europa ist das Morgen – Schäuble kämpft, wie damals, für das, was er als Zwangsläufigkeit der Geschichte ansieht. Unabhängig von allen großen Problemen, von Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten, will er das Versprechen, das – nicht zu vergessen – ein deutsches war, halten. Haben nicht alle Bundeskanzler immer gesagt, die zweite Seite der Medaille deutsche Einheit sei die europäische Einigung?

Nun, Schäuble ist nicht Kanzler, nie geworden. Dieses Amt blieb ihm verwehrt, obwohl es seinem Willen und Wollen und seinem Vermögen angemessen wäre. Aber gleich in welchem Amt, sein Geist ist immer frei, und er hat sich freiwillig dem Dienst an der guten Sache verpflichtet. Bis ans Ende seiner Kräfte. In seinem Dienen wird ihn niemand übertreffen.

Gibt es noch einen in der deutschen Politik, über den das zu sagen wäre?

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