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Meinung: Scharon von links

Von Clemens Wergin

I n Europa würde es niemandem einfallen, Ariel Scharon für zu links zu halten. Eine Mehrheit in seiner LikudPartei sieht das jedoch anders. Deshalb haben die Mitglieder vor drei Monaten ihre Zustimmung zum Gaza-Rückzugsplan verweigert. Eine Niederlage, die sich jetzt wiederholte, als ein Sonderparteitag sich gegen die Koalition mit der Arbeitspartei aussprach, die Scharons Minderheitenregierung stabilisieren sollte. Scharon sitzt in der Klemme. Zwar hat eine Mehrheit zumindest der Likud-Parlamentarier für ihn gestimmt. Aber eben nicht genug, um eine verlässliche Basis zu bilden für das Projekt, mit dem Scharon sein politisches Schicksal verbunden hat: Die Aufgabe der Siedlungen in Gaza und einiger im Westjordanland.

Man weiß nicht, wer einsamer ist: Scharon, der in Sachen Gaza-Rückzug von seiner Partei verlassen wurde, dafür aber mehr als zwei Drittel der Israelis hinter sich weiß. Oder jene Mehrheit von Verweigerern im Likud, die sich gegen einen großen Teil des eigenen Volkes stemmen, dafür aber die Siedler auf ihrer Seite haben. Der Likud demontiert einen der populärsten Ministerpräsidenten, den die Partei je gestellt hat – und gefährdet so die eigene Regierungsfähigkeit. Denn nie wurde deutlicher, dass eine Mehrheit in der Partei weitaus reaktionärere Ansichten pflegt als die meisten ihrer Wähler. Nun rächt sich die unheilige Allianz mit der Siedlerbewegung, die es noch stets verstanden hat, die Parteigremien mit wenigen, aber lautstarken Aktivisten zu manipulieren.

Scharon könnte nun, genauso wie Palästinenserführer Jassir Arafat, zur „lame Duck“ werden. Allerdings aus ganz anderen Gründen: Arafat ist der Kritik der eigenen Leute ausgesetzt, weil er sich nicht bewegt und etwa gerade wieder die Reformgesetze des palästinensischen Parlaments blockiert hat. Scharon bewegt sich nach Meinung vieler Parteifreunde viel zu viel. Sie halten den Gaza-Rückzugsplan – zumal ohne Gegenleistung von palästinensischer Seite – für den Anfang vom Ende der Siedlerbewegung. Während Scharon im Amt zum Realisten geworden ist, der entlegene Siedlungen aufgeben will, um andere zu halten, hängt eine Mehrheit seiner Partei weiter Träumen von ganz Großisrael nach – als wenn die in den besetzten Gebieten lebenden Palästinenser eine zu vernachlässigende Größe wären. Scharon hat sich zu sehr exponiert, auch gegenüber der US-Regierung, um jetzt von seinem Gaza-Plan zu lassen. Er wird jede Möglichkeiten ausloten, um seine Regierung zu stabilisieren, ob mit oder ohne Arbeitspartei. Und er wird versuchen, die Likud-Abgeordneten mit der Androhung von Neuwahlen bei der Stange zu halten. Solche würde er wohl gewinnen. Allein: mit welcher Partei?

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