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Meinung: Scharons neue Freunde

Von Clemens Wergin

Es ist eine eherne Regel des Nahostkonflikts: Wer eine Gelegenheit zur Verbesserung der Lage verpasst, steht am Ende schlimmer da als vorher. Diese Erfahrung macht nun auch Israels Premierminister Ariel Scharon. Seine LikudPartei hatte sich dem Plan ihres Chefs widersetzt, israelische Truppen aus dem Gazastreifen abzuziehen und Siedlungen zu räumen. Und damit die Chance verpasst, einen Abzug aus Gaza als souveräne politische Entscheidung darzustellen. Nach den hohen Verlusten, die Israels Armee in dieser Woche im Gaza-Streifen hinnehmen musste – elf tote Soldaten in nur zwei Tagen – steigt der öffentliche Druck auf Scharon, sich dennoch aus Gaza zurückzuziehen. Wenn sich Israel jetzt aber zurückzieht, sieht es so aus, als sei es der militärischen Gewalt der Extremisten gewichen. Ein Eindruck, den Scharon um jeden Preis vermeiden wollte. Deshalb ließ er die Hamas-Führer Ahmed Jassin und Abdel Asis Rantisi ermorden: um zu verhindern, dass die Extremisten, wie einst im Libanon, den israelischen Rückzug als eigenen Sieg darstellen können.

Doch solche strategischen Überlegungen treten in den Hintergrund, wenn in israelischen Medien Bilder von palästinensischen Extremisten gezeigt werden, die Körperteile toter israelischer Soldaten in die Kameras halten. Viele Israelis fragen sich nun, warum Soldaten weiter sterben müssen in einem Gebiet, dass die Regierung ohnehin aufgeben will.

Scharon steht jetzt vor einer schweren Entscheidung: Entweder, er folgt seiner Partei und beschränkt sich darauf, die trostlose Lage nur weiter zu verwalten. Oder er hält fest an der einzigen ernsthaften Initiative, die er in dreieinhalb Jahren als Premier gewagt hat. Dann riskiert er jedoch, dass sein Kabinett auseinander bricht und ihm ein guter Teil der eigenen Parlamentarier die Gefolgschaft verweigert. Der einzige Trumpf Scharons: Er hat die große Mehrheit der Israelis hinter sich. Die ist es leid, dass die kleine, aber lautstarke Minderheit von Siedlern mehr Einfluss auf Regierungsentscheidungen nimmt als die schweigende Mehrheit. Friedenswillige haben deshalb für heute zu einer großen Demonstration aufgerufen, die Scharon den Rücken stärken soll. Dass der ehemalige Panzergeneral noch einmal zu solchen Ehren kommen würde, hätte er wohl auch nicht gedacht.

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