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Meinung: Scheinheilige Erbschaft

Das Zölibat wurde zum Nutzen der Kirche eingeführt – heute schadet es ihr / Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

Die Ehe schützt nicht davor, dass Kinder missbraucht werden, sogar in der Ehe. Aber immerhin gibt sie einen Rahmen ab für die Zuwendung zu Kindern, für das Bedürfnis, ihnen mit Sympathie zu begegnen. Im Jahr 1087 hat die katholische Kirche die Ehelosigkeit der Priester eingeführt – das Zölibat –, freilich nicht aus theologischen, sondern aus ganz anderen Gründen.

Andreas Englisch, Korrespondent in der Vatikanstadt in Rom, hat jetzt daran erinnert, warum das geschah: „Zuvor hatten verheiratete Priester ihr Eigentum ihren Kindern vererbt. So gerieten Ländereien, Gebäude und andere Vermögenswerte, die der Kirche gespendet worden waren, in die Hände der Nachkommen der Priester.“

Irgendwo in dieser Gegend muss wohl die Vokabel „scheinheilig“ aufgekommen sein.

Im Korintherbrief heißt es bei Paulus: „Was die Ehelosigkeit angeht, so habe ich keine Weisung vom Herrn.“ Was also soll das Zölibat – außer, dass es einen Besitzstand zu verteidigen sucht?

Nun sieht sich die Bischofskonferenz einer zunehmenden Zahl von Beschwerden über sexuelle Übergriffe ihrer Priester gegenüber. Doch sie weist jede Kritik am Zölibat zurück. Die verordnete Ehelosigkeit sei nicht ursächlich für sexuelle Übergriffe. Und Papst Johannes Paul II. schämt sich. Es wird eine harte Linie gegen Priester verfolgt werden, die als „Kinderschänder“ auffallen. Erst unter dem Nachfolger des Papstes könnte das Zölibat diskutiert werden.

Warnungen von Experten werden also vorerst nicht beachtet. So sagt zum Beispiel der forensische Psychiater Frank Urbach aus Zürich: Solange man am Zwangszölibat im Umfeld einer hierarchischen Kirchenstruktur festhalte, bleibe die katholische Kirche „eine Risikozone für sexuelle Übergriffe“.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, ein besonnener Christ, äußert sich zwar entsetzt über die Übergriffe von Priestern: „Die Kirche ist getroffen.“ Die Möglichkeit, dass etwas mit dem Zölibat nicht stimmt, wird von ihm aber nicht in Erwägung gezogen. Die Ehelosigkeit der Priester ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, obwohl sie, wie zitiert, aus höchst irdischen Gründen eingeführt wurde. Es gibt auch unstreitig Übergriffe von Geistlichen, kriminelle Übergriffe. Doch es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken – ob nicht die Ehe verhindern könnte, dass die Zuwendung zum Kind, das Bedürfnis ein Kind zu lieben und zu betreuen, auf einen bösen Weg gerät.

Das Zölibat ist anstiftender Schwindel inmitten einer weit geöffneten Welt. Ach, du böser Himmel, muss man da sagen.

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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