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Meinung: Schock gegen die Ehrfurcht Lieber sicher oder frei?

Warum Amnesty provoziert

Amnesty spinnt. In ihrem Jahresbericht schreibt die Menschenrechtsorganisation allen Ernstes, der Kampf gegen den Terrorismus habe die Welt unsicherer gemacht. Wie bitte? In Afghanistan wurde die Taliban-Herrschaft zerschlagen, im Irak das Regime von Saddam Hussein, die Schlagkraft von Al Qaida dezimiert, weltweit kommen die Geheimdienste den Terroristen immer besser auf die Schliche, viele Millionen Menschen leben heute freier als vor zwölf Monaten. Zu behaupten, die Welt sei dennoch unsicherer geworden, ist reine Effekthascherei. Wer provoziert, kommt in die Schlagzeile.

Was allerdings stimmt und zu Recht von Amnesty beklagt wird, sind zwei andere Befunde. Erstens haben der Kampf gegen den Terrorismus und der Krieg gegen den Irak die internationale Agenda beherrscht. Im Schatten der raketenblitzenden „Schock-und-Ehrfurcht“-Kampagne sind andere Konflikte gefährlich eskaliert. In Eritrea droht eine Hungerkatastrophe, in Kongo ein Völkermord, über Tschetschenien spricht schon gar keiner mehr. Zweitens sind im Anti-Terror-Furor vielerorts die Menschenrechte außer Kraft gesetzt worden. Auch im Westen hat es der Rechtsstaat schwer, seine Prinzipien gegen die allgemeine Hysterie zu verteidigen. Hier und da wird offen über die Vor- und Nachteile der Folter nachgedacht.

Mehr Sicherheit, weniger Freiheit: Am Extremsten ist diese Tendenz in den USA zu beobachten. Die Amerikaner sind ein sehr ängstliches Volk. Sie sind immer gesünder, leben immer länger, ihre allgemeinen Unglücksrisiken sinken trotz der Terrorgefahr kontinuierlich. Trotzdem befinden sie sich seit dem 11. September in einem Zustand latenter Panik. Seit gut einem Jahr gibt es das nationale Terrorwarnsystem. Es war noch nie unterhalb jener Stufe, auf der vor einer „erheblichen“ Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags gewarnt wird. Das erhöht die Neigung zur Überreaktion. Die Befugnisse von FBI und CIA wurden drastisch ausgeweitet, es gab willkürliche Massenverhaftungen von arabischstämmigen Einwanderern, in Guantanamo sitzen weiterhin Hunderte von mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern fest – ohne Anklage und Rechtsbeistand.

Der Skandal daran ist: Die Amerikaner stört es kaum. Bis auf wenige tapfere Bürgerrechtler hält niemand das Banner jener Freiheit hoch, die es doch angeblich zu verteidigen gilt. Nur elf Prozent sind der Ansicht, die Bush-Regierung gehe mit ihren Maßnahmen zum Schutz der Bürger zu weit, mehr als doppelt so viele finden, sie gehe noch nicht weit genug. Um diese Lethargie etwas aufzubrechen, musste Amnesty vielleicht übertreiben. Es sei verziehen.

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