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Meinung: Schoßhunde und Rottweiler

Britische und US-Medien über ihre Haltung zum Irakkrieg Von Jacob Heilbrunn

Eine neue Front hat sich aufgetan im Irak. Nein, kein jüngster Aufstand der Schiiten, etwas viel Gefährlicheres – es ist die Neubewertung der amerikanischen und britischen Presse hinsichtlich ihrer Berichterstattung im Vorfeld des Irakkrieges. Sie könnte sich als der verheerendste Schlag gegen Bush erweisen.

Losgetreten hat das Feuerwerk der Journalist Michael Massing in der Ausgabe des einflussreichen liberalen Journals „The New York Review of Books“ vom Februar. Mit Hinweis auf die Flut von Artikeln über das Bejammern der Lage im Irak durch die Administration stellte Massing zugespitzt die Frage: „Wo wart ihr eigentlich vor dem Krieg?“ Eine Reihe journalistischer Stars der Washington Post und der New York Times beeilte sich zu erwidern, sie hätten kritisch über Präsident Bushs Verbindungen zum irakischen Exilanten Ahmed Chalabi und über Massenvernichtungswaffen berichtet.

Tatsächlich haben die amerikanische und britische Presse in den letzten Monaten fast ebenso bedrängt gewirkt wie die Koalitionskräfte im Irak. Gerade erst hat die New York Times, selten genug, ein Schuldbekenntnis abgelegt, indem sie eingestanden hat, dass zahlreiche ihrer Berichte auf einer zu dünnen Quellenbasis beruhten. Es war vom Herausgeber gezeichnet, betitelt „Die Times und der Irak“ und es hieß: „In der Rückschau wünschten wir, wir wären aggressiver gewesen bei der Überprüfung von Behauptungen, als neue Beweise auftauchten - oder eben ausblieben.“ Nunmehr prophezeit der Times-Kolumnist Paul Krugman, die herausragende Stimme der amerikanischen Linken, dass sich dem Ende zuneigt, was er als die Ära des Schoßhund-Gehorsams der Presse seit dem 11. September bezeichnet: "Viele amerikanische Journalisten scheinen den Kontext zu bedauern, in den sie die Irak-Berichterstattung eingeordnet haben; ein Klima, in dem die Presse nicht bereit war, negativ über Präsident George W. Bush zu berichten.“

Wo die Amerikaner Bedauern äußern, wehklagen die Briten. Wie ihre amerikanischen Verwandten wundern sie sich, wie sie den Beschwörungen Bushs und Tony Blairs erliegen konnten. „Wie konnte ich so ein Dummkopf sein“ zu glauben, die USA würden den Irak in eine Demokratie verwandeln können, jammerte der führende Konservative Boris Johnson im Daily Telegraph. Im Daily Mirror, der gegen den Krieg war, beschwerte sich Tony Parsons, eine einsame Pro-Kriegs-Stimme, dass Tony Blair „uns erzählt hat, wir würden für Freiheit, Demokratie und nationale Sicherheit im Irak kämpfen. Jetzt sehe ich, dass das ein Haufen Lügen war.“

War das so? Die Presse hat sich mit dem Glauben hinters Licht führen lassen, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt. Aber so ging es ungefähr jedem Geheimdienst vom deutschen über den französischen, vom israelischen bis zum amerikanischen. Es fällt schwer zu glauben, dass der Presse gelingen konnte zu entdecken, was den UN-Inspektoren und jedem anderen entgangen war. Dennoch, auch wenn Journalisten von Hussein hintergangen wurden, waren viele eindeutig zu gutgläubig über die arg übertriebenen Behauptungen der Administration über Husseins Fähigkeiten und Absichten. Nun wollen sie den selben Fehler nicht noch einmal machen. Es wäre nicht ohne Ironie, wenn die Presse, nachdem sie Bush gegenüber zu respektvoll gewesen ist, ihn jetzt bei jedem Anlass attackieren würde, sogar in Fällen, wo er es nicht verdient hat – gewissermaßen vom Schoßhund zum Rottweiler gewandelt. Bush könnte entdecken, dass er Recht hatte. Der Irak birgt in der Tat eine reale Gefahr – für seine Wiederwahl.

Unser Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“

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