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Meinung: Schräger Blick auf ganze Kerle

Ein Verfassungsgerichtsurteil löst neue Debatten über Homo-Partnerschaften in Amerika aus / Von Jacob Heilbrunn

Eine der populären RealityShows im amerikanischen Fernsehen läuft unter dem Titel „Queer Eye for the Straight Guy“ (frei übersetzt ungefähr: „Schräger Blick auf ganze Kerle“). Darin stürzen sich mehrere junge Homosexuelle auf einen heterosexuellen Modemuffel und verpassen ihm ein neues Outfit. Kleidung, Frisur – nichts bleibt unberührt in dem Bemühen um eine adonisähnliche Perfektion.

Der Erfolg dieser Show ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Mainstream in den USA die Homosexualität akzeptiert hat. Ein anderes ist die wachsende Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die Meinungsumfragen legen den Schluss nahe, dass die Öffentlichkeit homosexuelle Partnerschaften mehr und mehr befürwortet.

Die Ehe ist nicht mehr heilig

Das passt nicht so ganz in das Amerikabild vieler Europäer, die stolz darauf sind, dass sie die Emanzipationsbewegung der Homosexuellen aus den USA importiert haben, dabei aber viel weiter vorangekommen seien. Viele Europäer neigen zu der Ansicht, in sozialen Fragen lebe Amerika in paläolithischen Zeiten. Sehr in Mode ist dieses Bild: ein Land, in dem die Menschen vor den Erlassen des fundamentalistischen Generalstaatsanwalts John Ashcroft zittern, während Präsident George W. Bush die Bibelbewegung mobilisiert.

Die Vereinigten Staaten haben sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Der „Washington Post“-Autor Andrew Sullivan, eine führende Stimme der Homosexuellen-Bewegung, ist der Ansicht, dass die Bürger immer besser zurechtkommen mit schwulen Nachbarn, schwulen Freunden und deren Familien, als dies noch sieben Jahre zuvor der Fall war. Die Kultur hat sich gewandelt – von ängstlicher Ablehnung zu einem fast exzessiven Interesse.

Anders als die Demokratische Partei sind sich die Republikaner allerdings noch unsicher, wie sie mit dem Phänomen der homosexuellen Partnerschaften umgehen sollen. Einige der republikanischen Hardliner speien Feuer, um eine Verfassungsergänzung (Amendment) zu erreichen, die Homo- Ehen verbietet.

Aber so ein Versuch würde auf sie zurückfallen. Schließlich haben Konservative sich stets den Ansinnen widersetzt, an der Verfassung herumzudoktern. Ebenso wie in den siebziger Jahren die Verfassungsergänzung über die Gleichberechtigung der Frau nirgendwohin führte, würde heute ein Amendment, das Homo-Ehen verbietet, im Sande verlaufen.

Auch das Argument, die Ehe sei heilig, hat wenig Überzeugungskraft. Ob Konservative, ob Liberale: Die Scheidungsraten sind in allen Gruppen ziemlich hoch. Da kann man mit Heiligkeitsargumentationen nicht eben eine gute Figur abgeben.

Jüngere Konservative wie der „New York Times“-Kolumnist David Brooks haben das Argument aufgenommen und für sich umgedreht: Homo-Ehen seien sogar gut für das konservative Gesellschaftsbild belastbarer Bindungen. In einer Zeit, in der junge Leute den Gedanken ans Heiraten von sich weisen oder, wenn sie sich eines Tages doch zu dem Schritt drängen lassen, am Ende wieder geschieden sind, sollte man jene, die aus vollem Herzen heiraten wollen, ermuntern und nicht zurückstoßen.

Bush wird konziliant

Die Debatte bekam jetzt einen neuen Schub durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Massachusetts: Der entschied kürzlich, es verstoße gegen die Verfassung dieses Staates, homosexuellen Paare nicht die gleichen Rechte wie heterosexuellen zu gewähren – die Richter verlangten also die volle Gleichstellung.

In der Folgezeit mussten alle potenziellen Präsidentschaftskandidaten Stellung beziehen. Die Demokraten taten sich naturgemäß leichter mit liberalen Reaktionen. Aber auch Präsident George W. Bush äußerte sich nun konzilianter. In Amerika herrsche Vertragsfreiheit. Er habe nichts dagegen, wenn Homosexuelle einen Partnerschaftsvertrag schließen – privatrechtlich, beim Notar. Er halte allerdings nichts von dem Begriff „Homosexuellen-Ehe“.

So wird die Homosexuellen-Partnerschaft allmählich zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags in den Vereinigten Staaten. Niemand sollte aus den abfälligen Urteilen einiger weniger konservativer Dinosaurier, die gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen zu Felde ziehen, ableiten, das ganze große Amerika lebe noch immer gesellschaftlich in prähistorischen Zeiten.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: Kai-Uwe Heinrich

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