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Meinung: Schüssel im Labor

Österreich spielt den Vorreiter in Europa: Schwarz-Grün könnte klappen

In einem Land, in dem verborgene Tapetentüren zur historischen, beinahe natürlichen Ausstattung des Regierungssitzes gehören, öffnen sich mitunter verblüffende Wege. Den aber, der sich in Wien jetzt aufgetan hat, hat man in ganz Europa noch nicht gesehen: Österreich könnte in wenigen Wochen die erste schwarz-grüne Regierung des Kontinents haben. Vor drei Jahren haben die 14 anderen EU-Staaten das Land in Acht und Bann genommen, weil Jörg Haiders FPÖ an die Macht geraten war, und nun das: Österreich könnte im Positiven eine Vorreiterrolle spielen, zum Testfeld für zukünftige Politikmodelle werden. Und das alles unter ein- und demselben Regierungschef. Soll man das glauben?

Die Auffassung, Schwarz und Grün seien natürliche Gegner, galt bisher auch in Österreich; der eine war stets das Schreckgespenst des anderen. Nur wies die Polemik hier immer auch einen hohen Importanteil auf: Weil Österreichs Grüne nie so radikal und schon gar nicht so systemstürzlerisch waren wie die deutschen, musste die ÖVP-Propaganda sie nachgerade zu einem „deutschen" Popanz aufbauen. Die Grünen schossen oft scharf, weil sie es als kleine, im Gegensatz zur FPÖ aber seriöse Oppositionspartei mussten; sie wehrten sich gegen ihre Ausgrenzung im Parlament, für die beileibe nicht nur die Volkspartei, sondern auch die Sozialdemokraten verantwortlich war.

Dabei stehen sich, an der Basis, Volkspartei und Grüne weitaus näher als in anderen Ländern: Österreichs Grüne sind bürgerlicher Herkunft; nur in der Hauptstadt gibt die (Alt-)Linke den Ton an. Schwarz und Grün eint ein starkes wertkonservatives Heimatbewusstsein; klassische grüne Ziele wie sauberes Wasser, reine Luft und gesunde Nahrung sind Gemeinplätze im ländlichen, von seiner Schönheit immer wieder selbst überwältigten Österreich. Fast alle Bauern wählen ÖVP, weil man das eben tut, aber der Bio-Anteil in der Landwirtschaft ist höher als sonst irgendwo in Europa.

Schwarz-Grün ist in Österreich also eher eine Frage des Wollens. Zerreißproben, wie sie die deutschen Grünen 1999 mit dem Kosovo-Krieg erlebten, bleiben Österreich erspart. Das Land muss im Weltsicherheitsrat nicht mitreden, steht außerhalb jeder Nato-Verpflichtung und wird sich vor innereuropäischen Beistandsanforderungen auch künftig so geschickt wegducken wie bisher. Die anstehende Entscheidung über den Kauf neuer Abfangjäger müsste sich also in einer „nüchternen, professionellen" Koalition, wie sie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vorschwebt, ausdiskutieren lassen. Bei der durch die FPÖ hochgeputschten Frage, wie viele Ausländer man ins Land lässt, werden sich die Grünen mit den Schwarzen leichter einig als mit der SPÖ. Schließlich ist die ÖVP eine Unternehmerpartei, und die Firmen verlangen händeringend nach Arbeitskräften.

Probleme gibt es allerdings immer noch genug. Ungeachtet ihrer christlich-sozialen Wurzeln, an die jetzt einige Grüne fast flehentlich appellieren, ist die ÖVP eine mächtige, tendenziell neoliberale Interessenpartei; weit stärker als europäische Schwesterparteien beherrscht sie die Kammer- und Verwaltungsapparate; in ÖVP-Hand sind die meisten Schlüsselstellen, bis hinunter zu den Bürgermeistern. Sie hat autoritäre Züge, sie könnte die Grünen niederwalzen. Diese haben, anders als die Sozialdemokraten, die sich im Notfall auf die Kampfbataillone der Gewerkschaften stützen können, keine mächtigen Verbündeten. Sie können höchstens die Koalition platzen lassen – aber dann stehen am nächsten Tag FPÖ oder SPÖ zur Nachfolge bereit.

Davor haben die Koalitionsgegner bei den Grünen Angst: sich einer Partei auszuliefern, die unmittelbar aus einer Koalition mit der FPÖ kommt und an deren Seite nach rechts gerückt ist. Denn einen elementaren Punkt dürfen die Grünen nicht aus der Hand geben: die Respektierung der Minderheitenrechte. Hier ist die ÖVP entschieden weiter von den Grünen entfernt, als es in Deutschland die CDU wäre. Aber weil die Grünen schwach sind, hängt alles an Wolfgang Schüssel. Es wird von seinem Regierungsstil abhängen, ob diese Koalition gutgeht. Jetzt wird Schüssel für den Mut zu einem innovativen Politikmodell gefeiert. Eintagsmut wird aber wohl nicht reichen.

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