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Meinung: Schuften bis der Arzt kommt

Mediziner leiden unter dem reformbedürftigen Gesundheitssystem

Alexander S. Kekulé Am Montag standen sie mal wieder auf der Straße, ein inzwischen schon irgendwie vertrautes Jammerbild: Ein paar Hand voll frustrierter Weißkittel, die man früher „Halbgötter in Weiß“ nannte, protestiert gegen die Arbeitsbedingungen. Die blassen Gestalten halten ein paar Schilder hoch und blasen luftarm in billige Trillerpfeifen. Nach 30 Minuten ist die mittägliche Geisterstunde vorbei – die um ihre Patienten und um ihre Stellen besorgten Jungärzte haben die Aktion brav in die gesetzliche Ruhepause gelegt.

Anlass des öffentlichen Unmuts, der an zehn Universitätskliniken im Bundesgebiet zu besichtigen war, sind die immer schlechteren Arbeitsbedingungen für Klinikärzte, sprich: Mehr Arbeit, weniger Geld. Angesichts der hohen Gesundheitskosten und der allgemein schwierigen Wirtschaftslage wird sich so mancher fragen, ob das Gezeter berechtigt ist. Jammern die Ärzte also nur auf hohem Niveau?

Absolut gesehen, geht es den Medizinern trotz allem gar nicht so schlecht. Das Bruttogehalt von Assistenzärzten liegt bei 3000 Euro, Oberärzte bringen es meist auf 5000 Euro. Die Arbeit ist hart, aber dafür spannend und für die meisten Ärzte menschlich befriedigend. Schließlich winkt, wenn auch nur für einige wenige, die Aussicht auf einen Chefposten mit hohem Prestige und Jahreseinkommen von 100000 Euro aufwärts.

Es geht also nicht um einen absoluten, objektiven Notstand der Ärzteschaft – auch wenn die Medizinerlobby das gerne verbreitet. Das Problem ist vielmehr ein relatives, nämlich die Entwicklung des Arztberufs im Verhältnis zu anderen hoch qualifizierten Tätigkeiten. Die Gesundheitsversorgung wird auch nicht zusammenbrechen, wenn – wie die Gewerkschaft der Krankenhausärzte, der Marburger Bund, düster prophezeit –  ein paar hundert Mediziner ins Ausland gehen, weil sie dort angeblich mehr Geld bekommen.

Glaubt man den Auguren der Gesundheitsindustrie, wird demnächst ohnehin jede vierte Klinik schließen. In Deutschland gibt es genug Ärzte – sie sind nur falsch verteilt und machen die falsche Arbeit: Einen Großteil ihrer Arbeitszeit müssen Mediziner mit nichtärztlichen Tätigkeiten vergeuden. Unter dem Druck der Gesundheitsreform haben die Kliniken Bürokräfte, technische Assistenten und Pflegepersonal eingespart. Zugleich hat etwa der tägliche Papierkram enorm zugenommen, weil jetzt nach Diagnosen und nicht mehr nach Liegetagen abgerechnet wird. Deshalb müssen für die Verwaltung alle Untersuchungen und Therapien akribisch aufgeschrieben und verschlüsselt werden. Weil das neue Abrechnungssystem kürzere Liegezeiten bewirkt, müssen die Assis massenweise Arztbriefe produzieren. Die werden mancherorts von Hand vorgeschrieben und vom Oberarzt kontrolliert, um die wertvolle Zeit von Schreibkräften einzusparen. Bei Unternehmensberatern oder in Anwaltskanzleien wäre solcherlei intellektuelle Verschwendung undenkbar. Kliniken werden dagegen größtenteils noch von altgedienten Ärzten geleitet, die mit der Umstrukturierung überfordert sind. Leidtragende sind die Assistenten – und mit ihnen das Image des Arztberufs. Selbst Chefarztposten sind, seit deren Einnahmen um bis zu 90 Prozent gekürzt wurden, im Vergleich zu den millionendotierten Spitzenpositionen bei Anwälten und Managern wenig attraktiv. Wenn nichts geschieht, werden demnächst die besten Köpfe die Medizin meiden – mit verheerenden Auswirkungen für Gesundheitsversorgung, biomedizinische Forschung und Fortschritt in einem der wichtigsten Wachstumsmärkte des 21. Jahrhunderts.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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