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Meinung: Schulden oder Steuern

Zum ersten Mal im Wahlkampf geht es um den Streit zwischen zwei Konzepten

Von Robert Birnbaum

Mit der Logik ist es in der Politik so eine Sache. Kurz vor Wahlen werden ihre Regeln schon mal vollends außer Kraft gesetzt. Der Streit um den rechten Weg zur Hilfe für die Flutopfer führt es vor, und das ist schade. Denn dieses Thema hätte das Zeug zu einer richtig ernsthaften, ernsten Auseinandersetzung zwischen Kanzler und Kandidaten. Einer Debatte über die Zukunft Deutschlands. Einer Debatte weit über den Anlass hinaus. Einer Grundsatzdebatte: Steuern oder Schulden? Kurzfristiger Konjunkturanschub oder langfristige Konsolidierung?

Das ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, weil Logik der Taktik weichen muss. Der Kandidat Stoiber findet die Idee des Kanzlers Schröder falsch, die Flutschäden durch eine Verschiebung der Steuerreform zu bezahlen. Also sollte er sie ablehnen. Tut er aber nicht. Stoiber hat auch einen Gegenvorschlag: Die Bundesbankgewinne 2001 sollen die gröbsten Schäden lindern. Also sollte er für diese Alternative kämpfen. Tut er aber nicht. Die Union will im Gegenteil im Bundesrat das Steuer-Projekt der Regierung passieren lassen – doch bloß zum Schein: Nach gewonnener Wahl will Stoiber erklärtermaßen das Ja wieder zurücknehmen und sein Gegenmodell umsetzen.

Dieser Schlingerkurs ist aus der Angst geboren, als Verweigerer dazustehen, und aus der zähneknirschenden Einsicht, dass sich ein Land wie Sachsen keinem Hilfsangebot des Bundes verweigern kann. Taktisch ist das Verhalten der Union also verständlich. Aber eben nur taktisch.

Auf der anderen Seite spielt der Kanzler sein Hase-und-Igel-Spiel mit dem Herausforderer weiter. Kaum hat Stoiber darauf verzichtet, eine höhere Belastung der Unternehmen zwecks sozial gerechterer Lastenverteilung zu fordern, macht sich Schröder die Idee der höheren Körperschaftsteuer zu eigen. Das wirkt auf den ersten Blick schlau, könnte sich aber als genau so überschlau erweisen wie Stoibers Ja-Nein-Volte. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich die Logik an der Taktik rächt und das Publikum sich nur noch entnervt abwendet.

Das wäre schade. Denn die Flut hat zum ersten Mal in diesem Wahlkampf einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied zwischen dem Kanzler und seinem Herausforderer freigeschwemmt. An einem überschaubaren, mit wenig Mühe gut verständlichen Beispiel lassen sich zwei Denkungsarten in der Finanz- und Wirtschaftspolitik vorführen. Hier die Regierung: Sie hat sich in der Stunde der Not dafür entschieden, den Steuerzahler ein Jahr lang stärker zu belasten. Am langfristigen Schuldenabbau hält sie aber fest. Da die Union: Sie verspricht Bürger und Unternehmer unmittelbar zu schonen, weil sie sich von niedrigeren Steuern einen raschen Konjunkturschub verspricht. Dafür nimmt sie eine neue Staatsverschuldung in Kauf, für die die Steuerzahler mit Zinsen über Jahre hinweg zahlen müssen.

Welcher dieser Ansätze der richtige und angemessene ist, darüber kann man streiten. Darüber muss man sogar streiten, und wie! Es geht schließlich um den Kern der Politik, um den Umgang mit Geld. Steuerfinanzierung gegen Schuldenfinanzierung, das Bemühen um den langfristigen Weg aus dem Schuldenstaat gegen das Bemühen um günstige Konjunktur um einen hohen Preis – so klar war das bisher nicht zu erkennen.

Am 22. September gibt es zumindest in dieser wichtigen Frage mithin wirklich die Wahl zwischen Alternativen und nicht nur zwischen unterschiedlichen Formen der Indifferenz. Nie ist das so deutlich geworden wie im Streit um das nationale Flut-Opfer. Dafür, dass es ab jetzt wieder undeutlicher wird, werden die Wahlkampfapparate mit ihren Wortnebelmaschinen sorgen. Die Taktik wird über die Logik siegen. Halten wir aber fest: Schröder und Stoiber haben Farbe bekannt. Vielleicht mehr, als beiden lieb ist.

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