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Schweinegrippe: Profit ohne Pandemie

Die WHO und die Schweinegrippe: Alles übertrieben? Der weltweiten Aufregung zum Trotz gibt es keine Beweise, dass die WHO von der Pharmaindustrie beeinflusst wurde.

Die Schweinegrippe war ein dickes Geschäft, so viel steht fest. Glaxo Smith Kline, Novartis, Roche, Sanofi Pasteur und die anderen Hersteller von Impfstoffen und Virusmitteln machten Milliardenumsätze. Insgesamt brachte die Pandemie der Branche einen Gewinn von etwa zehn Milliarden Euro.

Den Geldsegen verdanken die Hersteller unter anderem den dramatischen Alarmrufen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Deren Generaldirektorin Margaret Chan hatte im Juni 2009 die Pandemie ausgerufen, obwohl bereits damals bekannt war, dass das neue Influenzavirus vom Typ H1N1 nicht besonders gefährlich ist. Die WHO stufte das Virus trotzdem als globale Bedrohung ein und warnte davor, dass die Pandemie Millionen Menschenleben fordern könnte. Die horrende Einschätzung der WHO, der bis dahin eher harmlose Erreger könne jederzeit zu einem Killervirus mutieren, wurde von Gesundheitsexperten in aller Welt übernommen. Schon länger wird der WHO deshalb vorgeworfen, sie habe die Gefahr der Schweinegrippe übertrieben. Dann kam auch noch heraus, dass die WHO bei Beginn der Schweinegrippe ihre Definition des Begriffs „Pandemie“ geändert hatte: Die Bedingung, dass ein Virus „enorme Zahlen von Todesfällen und Erkrankungen“ hervorruft, wurde im April 2009 gestrichen.

Anfang dieses Monats setzte das „British Medical Journal“ (BMJ) noch eins drauf: Dem angesehenen Fachblatt zufolge erhielten wissenschaftliche Berater der WHO Zuwendungen von denjenigen Pharmafirmen, die sich an der Pandemie goldene Nasen verdient haben. Drehscheibe der verdeckten Lobbyarbeit war demnach die „European Scientific Working Group on Influenza“ (ESWI) in Brüssel. Die Vereinigung, die bei politischen Entscheidungsträgern für den Kauf von Impfstoffen und Virusmitteln warb, wird ausschließlich von den einschlägigen Herstellern finanziert.

Der weltweiten Aufregung zum Trotz gibt es jedoch keine Beweise, dass die WHO von der Pharmaindustrie beeinflusst wurde. Fast alle Influenza-Experten arbeiten entweder in der Industrie oder bekommen Pharmagelder für Forschung und Vorträge. Die chronisch klamme WHO hat keine eigenen Forschungsinstitute und ist auf die Expertise der Impfstoff- und Medikamentenhersteller angewiesen. Um Interessenkonflikte so gut es geht zu vermeiden, müssen Berater ihre Einnahmen und Verbindungen offenlegen. Selbst Kritiker behaupten nicht, dass die WHO gegen diese Regeln verstoßen hätte.

Der frühzeitige Pandemiealarm hatte andere Gründe, an denen die Mitgliedstaaten nicht unschuldig waren: Die Verträge mit den Impfstoffherstellern sahen häufig vor, dass erst im Falle einer Pandemie mit der Produktion begonnen wird. Auch Deutschland hatte solche Verträge, die aber auf Wunsch der Behörden geheim gehalten wurden. Staaten ohne diese Klausel, wie die USA und Großbritannien, bestellten bereits im Mai 2009 ihre Impfstoffe. Die anderen Länder mussten zusehen, wie die knappen Produktionskontingente vergeben werden – und machten Druck auf die WHO, endlich die Pandemie zu erklären.

Die Kritik am Pandemiemanagement der WHO schlägt deshalb auf die nationalen Gesundheitsbehörden zurück. Auch Deutschland steht unter Beschuss, weil der Influenza-Koordinator des Robert- Koch-Instituts (RKI) für EWSI als Berater tätig war. Der „Europarat“, eine von der EU unabhängige Menschenrechtsorganisation, entscheidet am morgigen Donnerstag über einen Bericht, der der WHO und den nationalen Gesundheitsbehörden schwere Fehler beim Pandemiemanagement vorwirft. Das für das RKI zuständige Gesundheitsministerium hat bereits an die deutsche Delegation appelliert, gegen die Vorlage zu stimmen.

Dass Margaret Chan einen nervösen Finger am Alarmknopf hatte, lag möglicherweise auch an ihrer Biografie: Als Leiterin der Gesundheitsbehörde von Hongkong ging sie im Jahre 2003 nur zögerlich gegen die Lungenkrankheit Sars vor. Bis heute wird ihr vorgeworfen, gemeinsam mit der chinesischen Regierung das Ausmaß der Sars-Epidemie vertuscht zu haben. 2007 wurde Chan Generaldirektorin der WHO, mit massiver Unterstützung aus Peking. Nicht auszuschließen, dass sie bei der Schweinegrippe etwas wiedergutmachen wollte.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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