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Meinung: Sehr große Koalition

Das Land steckt in der härtesten Wirtschaftskrise seit dem Krieg, doch die Angstkampagnen von Extremisten dringen zur großen Mehrheit der Bevölkerung nicht durch.

Von Frank Jansen

Es ist erstaunlich, was sich in der Bundesrepublik tut. Das Land steckt in der härtesten Wirtschaftskrise seit dem Krieg, doch die Angstkampagnen von Extremisten dringen zur großen Mehrheit der Bevölkerung nicht durch. Dass Al Qaida, im bizarren Einklang mit deutschen Neonazis und Linksradikalen, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan verlangt, regt Deutschland kaum auf.

Da bleiben Proteste nach dem Muster der Anti-Hartz-IV-Demonstrationen aus, keine Massenbewegung rechnet die Kosten des enormen Einsatzes am Hindukusch gegen die explodierenden Staatsschulden auf. Vielmehr zeigt sich, trotz aller Verdrossenheit über einen flauen Wahlkampf, dass die Demokratie das Jahr eins nach dem Beginn der Finanzkrise überraschend gut bewältigt hat. 2009 ist kein zweites 1929.

Es wäre indes kühn zu behaupten, selbstverständlich seien im Herbst 2008 keine Unruhen zu erwarten gewesen. Nach dem Doppelschock des Zusammenbruchs der US-Bank Lehman Brothers und des Debakels der Hypo Real Estate hat kaum ein politischer Analytiker zu prophezeien gewagt, Deutschland werde die kommenden zwölf Monate von Wut auf der Straße verschont bleiben. Nicht nur Verfassungsschützer sorgten sich, die Krise könnte Extremisten nützen, gerade im Superwahljahr. Doch es kam anders.

Der NPD gelang bisher nur der bescheidene Erfolg, knapp den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag erreicht zu haben. Linksextremisten warten weiter auf den großen Aufschwung der Marx-Engels-Ideen. Und Al Qaida versucht, mit Drohvideos die Deutschen in Panik zu versetzen. Wahrscheinlich erwartet Al Qaida, die Wirtschaftskrise mache die Deutschen so nervös, dass sie mit bizarren Botschaften von Fanatikern wie Bekkay Harrach einzuschüchtern sind. Doch die Extremisten haben sich verkalkuliert.

Die Bundesrepublik ist 60 Jahre nach ihrer Gründung stabil genug, einer schweren Wirtschaftskrise zu trotzen – und Terrordrohungen und anderen Provokationen politischer Irrläufer. Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger vertraut darauf, dass eine sehr große Koalition aus Union, SPD, FDP, Grünen und Pragmatikern der Linken die Wirtschaftskrise und andere große Herausforderungen, vor allem beim Klimaschutz, bewältigt. Mag sein, dass auch viele Menschen schlicht desinteressiert sind. Doch im Ergebnis ist die Abwesenheit von Massenkrawall ein positives Zeichen – für die Reife einer Demokratie. Obwohl sie in Deutschland einst als fremdes Gewächs von den Westalliierten eingepflanzt wurde. Doch es ist gediehen und so stark verwurzelt, dass die Republik die Bewährungsprobe der bis vor einem Jahr unvorstellbaren Wirtschaftskrise bislang bestanden hat. Ob das so bleibt?

Für die Zeit nach der Bundestagswahl sind düstere Szenarien im Umlauf. Von dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen ist die Rede, auch das Gespenst einer Hyperinflation wedelt herum. Doch selbst wenn härteste Prophezeiungen Realität werden sollten, wäre es keineswegs zwangsläufig, dass sich größere Teile der Bevölkerung radikalisieren oder in Angst vor Al Qaida erstarren. Auch ein schwerer Anschlag in Deutschland muss die Demokratie nicht ins Wanken bringen. Diese Zuversicht zu erhalten, ist eine der Pflichten der sehr großen Koalition.

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