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Meinung: Seid umschlungen, Millionen

Gerhard Schröder hat das Pathos des Kämpfens in die Politik zurückgeholt

Es gibt ihn doch, den staub- und schweißbedeckten Helden aus der Generation der harmlosen Nachgeborenen. Er heißt Gerhard Schröder.

Am Sonntagabend, als das ganze Land sich selbst leicht irritiert besichtigte, krönte der Bundeskanzler siebzehn Wochen harten Einsatz durch einen erstaunlichen Auftritt. Was Schröder in dieser Fernsehrunde gesagt hat, kann, wer will, als taktische Eselei im Rausch bezeichnen. Doch für die öffentlichen Angelegenheiten, für die res publica war sein Auftritt grandios. Denn in diesem Kanzler zeigte sich – endlich einmal wieder! – die Politik als ein Stoff, der aus Leidenschaften gewebt wird. Schröder glühte weiß, im triumphalen Zorn; und diese Glut macht die Dinge härter, aber nicht kälter. Sie ist von der Art, die ein Land im Umbruch dringend braucht.

Schon vor dieser Wahl war Schröder ein Politiker ungewöhnlicher Wahlerfolge und Popularität. Nicht mit Willy Brandt oder Helmut Schmidt ist die SPD zweimal hintereinander stärkste Fraktion im Bundestag geworden, sondern mit Schröder. Medien und Meinungsforscher haben stets den Erfolg eines Pragmatikers analysiert, dem oft genug das Unerwartete zu Hilfe kommen musste – wie 2002 in Gestalt von Irak, Flut und Zufall. Denn die Liste kritikwürdiger Eigenschaften war immer sehr lang: Beliebigkeit, schlechtes Handwerk, Machtlust und Ego im Übermaß. Weil man das Phänomen Schröder so richtig nie erfassen konnte, trug das Urteil der professionellen Beobachter unverkennbare Züge der widerwilligen Anerkennung.

Doch das Debakel der Meinungsforscher ist bei der Wahl 2005 nur offensichtlich geworden. Was die Menschen an Schröder reizt und bindet, hat sich zwar den gewohnten Rastern der öffentlichen Klasse entzogen. Wirksam war es trotzdem. Und dieser Widerspruch war es, den Schröder nach seinen Niederlagen gespürt hat.

Mit der Neuwahlentscheidung und einem furiosen Wahlkampf hat Schröder das Pathos des Kämpfens in die Politik zurückgeholt. Und die Republik, die weiß, wie unvermeidlich Veränderungen und Reformen sind, hat in diesem unermüdlichen Krieger einen gesehen, der es ernst meint. Und alles das nicht ist, was sie von Politikern kennt: läppisch, taktisch, rechnerisch, kalkuliert und schon gar, was Schröder am heftigsten vorgeworfen wird, Schauspieler in eigener Sache. Und hat ihm zum ersten Mal geglaubt, dass vielleicht doch möglich sein könnte, was vorher nicht einmal wahrgenommen wurde: Reformen mit Augenmaß.

Dieser Schröder ist nicht erst in den letzten Monaten entstanden. Es kann tausend Mal stimmen, dass Rot-Grün gescheitert ist. Aber das linke Lager, nicht die guten Bürger von Union und FDP, haben die ersten wirklichen Archetypen der deutschen Politik nach den großen Gründergestalten hervorgebracht. In diesem Sinne sind Joschka Fischer und Gerhard Schröder die Erben von Adenauer, Brandt und Kohl. Fischer, der als Straßenkämpfer und heimgekehrter verlorener Sohn die Projektionsgestalt für die Minderheiten abgibt. Schröder, der als Sohn einer Putzfrau den Lebenswunsch von Millionen verkörpert, den deutschen Nachkriegstraum vom Aufstieg aus bedrängten materiellen und geistigen Verhältnissen.

Er konnte nicht auf Belohnung hoffen, als ausgerechnet er die Beständigkeit des verwirklichten Traums mit seiner Agenda in Frage gestellt hat. Es war folgerichtig, dass die SPD, seine Koalition, er selbst dafür bluten mussten. Der Mann, der als der machthungrigste überhaupt galt, opferte erst den Parteivorsitz, dann übergab er das Kanzleramt der Entscheidung durch das Volk, jenseits von Kalkül, Taktik, Medienurteilen und Umfragen.

Da hat sich einer ins Feuer geworfen. Das haben die Bürger belohnt.

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