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Meinung: Selbstverliebte Weltverbesserer

In Stuttgart tagt die FDP, in Kreuth die CSU – beide sind machtlos ohne die CDU

Das Schöne an Ritualen ist, dass man weiß, woran man ist. Ob der Januar Schnee bringt oder nicht, steht in den Sternen. Aber jeder Januar treibt die CSU nach Kreuth und die Liberalen nach Stuttgart. Das bayerische Bad hat seit 1976, als die Christsozialen dort beschlossen, Deutschland vom Süden her aufzurollen, den Ruf, für jedes Komplott gegen die CDU gut zu sein. Und vom Dreikönigstreffen im Württembergischen Staatstheater erhofft sich die FDP eine Jungbrunnenwirkung, auch wenn es in dem alten Gemäuer eher nach Mottenkugeln als nach Babynahrung riecht.

Der Unterschied zwischen Kreuth und Stuttgart, zwischen CSU und FDP? Die Bayern pfeifen im Wald vor Lebenslust und die Liberalen vor Angst. Krach machen beide, aber die Christsozialen wissen, wer sie sind. Was man von den Freien Demokraten nicht immer behaupten kann. Was die einen zu viel an Identität haben – weswegen sie ihre Kanzlerkandidaten nördlich der Mainlinie auch nicht mehrheitsfähig bekommen – haben die anderen zu wenig. Und zwischen dem „Mir san mir“ der einen und dem „Wer sind wir?“ der anderen entwickelt sich das Dilemma zweier Parteien, die nach Lage der Dinge nur zusammen mit einer Dritten – mit der CDU – mehr als die Ränder eines Ganzen sein können, dem die Verbindung fehlt.

Dabei hat es die CSU leichter. Ihre Probleme sieht man erst auf den zweiten Blick. Auf den ersten präsentiert sie sich proper wie keine andere Landespartei in Deutschland. Sie verfügt im Landtag über eine Zwei-Drittel-Mehrheit und der von ihr gestellte, hoch angesehene Ministerpräsident könnte sich ungeachtet aller Dementis auch noch ein paar Jährchen im Schloss Bellevue vorstellen. Außerdem: Die Wirtschaftsdaten Bayerns lassen die fast aller anderen Bundesländer blass aussehen. Aber der Aufschwung ist durch den Verkauf landeseigener Beteiligungen finanziert worden, damit ist es jetzt vorbei. Die Krise der new economy hat Bayern mit Verzögerung erfasst, die Bürger wissen es nur noch nicht. Und: Mit Edmund Stoiber ist nach Franz Josef Strauß zum zweiten Mal ein bayerischer Politiker mit dem Versuch gescheitert, zum Kanzler gewählt zu werden. Die CSU ist an ihre Grenzen gestoßen. Für eine Partei mit Prinzipien – und die hat die CSU, und wie! – ist das doppelt hart. Bleibt nur noch, dem Gastredner Wolfgang Schäuble vielleicht offiziell das Prädikat „Präsidentschaftskandidat der CSU“ anzuheften. Vielleicht.

Über ihre Grundsätze gestolpert ist die FDP nicht gerade. So weit können die Liberalen schon noch die Füße heben, auch wenn die Schlappe bei der letzten Bundestagswahl immer noch schmerzt. Denn den Machtwechsel in Berlin vergeigt hat ja eben nicht nur Edmund Stoiber. Da war vor allem die Differenz zwischen den avisierten 18 und den tatsächlich erreichten 7,4 Prozent der Stimmen die Ursache. Für die fünf Landtagswahlen dieses Jahres liegen die Prognosen zwischen ein und sechs Prozent, das Ergebnis der Europawahl im Mai könnte die FDP von der Sinn- in die Existenzkrise stürzen.

Wozu muss man heute noch FDP wählen, wenn doch SPD und CDU/CSU die Reformfragen miteinander lösen? Bei den Gesprächen im Bundesrat im letzten Dezember hat Guido Westerwelle standhaft und rührend seinen Platz im Orchester der Großen verteidigt und dabei dennoch nie den Eindruck ausräumen können, man lasse ihn mehr aus Höflichkeit denn aus Respekt vor der Bedeutung der Liberalen reden. In fünf Landesregierungen sind sie mit dabei, das erklärt einiges – aber was machen sie da eigentlich? Genau wissen sie es wohl selbst nicht.

An Westerwelle herumzukritteln, ist wohlfeil. Aber wer, bitte schön, sollte ihn denn ablösen? Die FDP ist offensichtlich für Talente nicht mehr attraktiv, das ist ihr Debakel. Und dass die Union sie als Mehrheitsbeschaffer bei der Präsidentenwahl braucht, ist auch nur ein Pfund, mit dem man bis zum 23. Mai wuchern kann. Und dann? Für die zwei selbstverliebten Weltverbesserer in Stuttgart und Kreuth alleine sind die Probleme eben ein bisschen groß. Deshalb richten sich alle Parteitagsreden vor allem – an die CDU. Ganz leise darf man das ja zugeben, auch, wenn es wehtut.

Gerd Appenzeller

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