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Serbien und Srebrenica: Wachsendes Gewissen

Strategie hin, Strategie her, die Resolution mit einem deutlichen Schuldeingeständnis bedeutet, dass Serbien bereit wird, sich seinen Schatten zu stellen – und über seinen Schatten zu springen.

Von Caroline Fetscher

Vor den Augen der Welt soll heute auf die „ethnische Säuberung“ die Läuterung des Gewissens folgen. Deshalb tobte am Dienstag eine Debatte unter dreihundert serbischen Parlamentariern. An ihrem Endpunkt stand eine Resolution mit einem deutlichen Schuldeingeständnis, gerichtet an die Angehörigen der Ermordeten von Srebrenica. Magere vier Stimmen schwerer wog das Ja. Aber mit diesem Votum verurteilt Serbien nun offiziell die Taten und bringt „Mitgefühl und eine Entschuldigung gegenüber den Familien der Opfer zum Ausdruck“. Man habe, heißt es auch schamvoll verschraubt, „nicht alles zur Verhinderung dieser Tragödie getan“. Im Sommer 1995 kulminierten die Massenmorde an der muslimischen Zivilbevölkerung Bosniens im systematischen Hinschlachten von 8000 Jungen, Männern und Greisen des Ortes Srebrenica; das Haager UN-Tribunal stufte die nach 1945 in Europa beispiellosen Massaker als Völkermord ein. Dies eine Wort, „Genozid“, fehlt in der Resolution. Mit seiner Streichung wanderten ein paar Stimmen mehr zum Ja.

Man müsste jetzt in jedes Gewissen blicken können, um zu erfahren, wie ehrlich oder strategisch das jeweilige Ja entschieden wurde. Gewiss ist jedenfalls, dass auch Taktiker und Zyniker darunter sein dürften. Und gewiss ist, dass das Land unter Druck steht, finanziell, politisch, völkerrechtlich und moralisch. Serbien, zugleich Zerfallsmotor und Zerfallsprodukt der Jugoslawienkriege, die seine Nationalisten angezettelt hatten, steht darbend am Rand Europas während es zusehen muss, wie seine ex-jugoslawischen Nachbarn nach und nach ihre Sessel in Brüssel erobern. Bitter ist außerdem, wie die Beweislast gegen serbische Truppen, Milizen und Paramilitärs seit mehr als einem Jahrzehnt in Den Haag anwächst. Leugnen kostet immer mehr Kraft, Selbstisolierung in traditionellem Trotz wird teurer und teurer. Unter solchen Auspizien klammern sich viele Serben nach wie vor an ihren Kriegshelden, den als Kriegsverbrecher gesuchten General Ratko Mladic, der sich im Land versteckt aufhalten soll. Die Resolution, gegen die Nationalisten anwettern, verspricht im Fall Mladic Kooperation zur Festnahme des Mannes. Strategie hin, Strategie her, die Resolution bedeutet, dass Serbien bereit wird, sich seinen Schatten zu stellen – und über seinen Schatten zu springen.

Einige Opfer wünschen sich mehr, sie wollen nicht nur die Kriegsverbrecher hinter Gittern, sondern auch eine große Symbolgeste Serbiens, analog zu Willy Brandts Kniefall in Warschau. Dazu brauchte es damals: eine transatlantische Allianz, unter der ein Wirtschaftswunder gedeihen konnte, flächendeckende Maßnahmen zur Umerziehung, und einen aus Exil und Widerstand zurückgekehrten Menschen, Brandt, der spontan und aufrichtig tat, was er für das Richtige hielt. All das ist in den Staaten Ex-Jugoslawiens nicht gegeben, am wenigsten in Serbien.

Als vor sechs Jahren die im Krieg von Kroaten zerstörte Brücke von Mostar, ein Meisterwerk osmanischer Architektur, wieder aufgebaut war, entbrannte in Kroatien ein wütender Streit um das Lied eines Popsängers. Zur Einweihung wollte er die Zeilen singen: „Kann sein, dass es leichter ist zu sterben, als zu Leuten zu sagen: Entschuldigung!“ Davon wollten viele nichts wissen, wie heute viele in Serbien die Entschuldigung ihres Staates bei den Nachbarn als Selbstbeschmutzung ablehnen. Als umso größer muss dieser Schritt gelten. Es ist nur fair, ihn auch anzuerkennen. Doch an der Festnahme des gesuchten Generals werden sich die Worte messen lassen müssen.

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