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Meinung: Sicherheit: Die Erregungsgeneration

Mehr Sicherheit gab es nie. Trotzdem fühlen sich viele Deutsche bedroht.

Mehr Sicherheit gab es nie. Trotzdem fühlen sich viele Deutsche bedroht. Sie fürchten sich vor Terroristen, die Flugzeuge in Atomkraftwerke steuern könnten, vor dem Krieg, vor Kriminalität, vor Fremden, vor dem sozialen Abstieg, vor Bakterien aller Art und vor dem Rinderwahn. Die Reihenfolge ändert sich gelegentlich. In Deutschland treten solche Sorgen selten einzeln auf, sondern häufig gleich massenhaft. So nimmt jedes beliebige Problem schnell apokalyptische Ausmaße an. Nur in der Angst nehmen sich die Deutschen noch als Kollektiv wahr.

Die mittlere Generation ist nach dem Krieg aufgewachsen. Bombennächte kennt sie nur vom Hörensagen. Trotzdem stand sie in den 80ern fast geschlossen auf gegen den Nato-Doppelbeschluss. Getrieben von tiefer Kriegsangst. Schließlich waren die sowjetischen Massenvernichtungswaffen nicht auf die USA sondern auf Europa gerichtet.

In Deutschland brauchte es keine beispiellosen Terroranschläge, um sich Katastrophen-Szenarien auszumalen. Die Debatte über die Absturz-Unsicherheit von Atomkraftwerken wurde hier bereits in den 80ern leidenschaftlich geführt. Kein Wunder, dass sie nun wiederbelebt wird. Erstaunlich ist eher, dass die heute 30- bis 50-Jährigen nicht zeitgleich mit ihren Altersgenossen in den USA anfingen, über biologische und chemische Waffen in den Händen von Terroristen nachzudenken. Dort diskutiert die Generation, die noch vor ein paar Wochen versucht hat, mit antibakteriellem Spülmittel Krankheitserreger von ihren Kindern fernzuhalten nun über die Anschaffung von Gasmasken oder die Vorratshaltung für Antibiotika. Sie dürften uns nur wenig voraus sein.

Nach ein paar Wochen, vielleicht Monaten, wird die Empörung nicht mehr reichen, um das Thema Terrorbekämpfung weiterzuverfolgen. Erst verschwindet es aus dem Alltag, dann aus den Medien und bald darauf aus dem Bewusstsein. Denn neben einer großen Empörungsbereitschaft zeichnet diese erste Generation, die mit dem Fernseher aufgewachsen ist, eine geringe Aufmerksamkeits-Spanne aus. Fast genau dieselben Phasen hat die Debatte um den Rinderwahn durchlaufen. Wie der islamistische Terror ist BSE nicht aus heiterem Himmel über die Deutschen hereingebrochen, aber doch einigermaßen überraschend. Für ein paar Wochen beherrschte der Rinderwahn die öffentliche Debatte. Zwei Minister mussten gehen. Rund zehn Monate später werden neue BSE-Fälle mit einem Schulterzucken quittiert. Bis der erste Deutsche an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit leiden wird, dürfte der Rinderwahn den Alltag der meisten Bürger kaum noch belasten. Doch spätestens dann bricht die nächste Welle der Empörung los, wird der Rindfleischverbrauch wieder in den Keller stürzen, werden vielleicht Minister gehen müssen.

BSE hat wenig mit Terroristen zu tun. Doch beide Phänomene weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch durch den Genuss von Rindfleisch stirbt, ist nicht sehr hoch. Nicht höher als die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Doch beides ist völlig willkürlich - es kann jeden treffen. Das macht Angst. Gerade die Nachkriegsgenerationen haben sich in ihrer sicheren Puppenstube eingerichtet. Die Erkenntnis, dass es keine vollkommene Sicherheit gibt, hat sie unvorbereitet getroffen. Vermutlich fürchten deshalb gerade die Deutschen, bei allem Mitgefühl für die Opfer, die Antwort der USA auf den Terror fast noch mehr als die Attentate selbst.

Die Deutschen haben 50 Jahre in dem Bewusstsein gelebt, dass es einen Anspruch auf Sicherheit gibt - und fast jedes Risiko verkleinert werden kann. Die Friedensdemonstrationen haben die Abrüstungsverhandlungen sicherlich beflügelt. Und selbst die deutschen Atomkraftwerke sollen in absehbarer Zeit abgeschaltet werden. Diesmal dürfte es allerdings wenig helfen, für den Frieden zu schweigen und zu protestieren. Denn davon werden sich islamistische Terroristen kaum beeindrucken lassen.

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