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Klare Worte zur Sicherheitspolitik: Bundespräsident Joachim Gauck in München

© afp

Sicherheitspolitik: Gauck befreit Deutschland aus der politischen Pubertät

Bei Völkermord und Kriegsverbrechen darf Deutschland nicht wegsehen: Joachim Gaucks Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz war erfrischend unverblümt. Der Bundespräsident setzt einen neuen Ton in der sicherheitspolitischen Debatte.

Souveräne Staaten haben eine Armee, um sich selbst und ihre Interessen verteidigen zu können. Mit einer Ausnahme: Deutschland. Seit den Zeiten der Wiederbewaffnung und des Nato-Beitritts steht die Bundeswehr unter hohem Legitimationsdruck. Was aus historischen Gründen zunächst verständlich war, entwickelte eine Eigendynamik. Bis heute überwölben moralische und rechtliche Kriterien jede sicherheitspolitische Debatte. Gibt es ein Mandat des UN-Sicherheitsrates? Geschieht alles im Rahmen der Nato? Sind Out-of-area-Einsätze vom Grundgesetz gedeckt? In England, Frankreich oder Amerika werden solche Fragen zwar auch diskutiert, beherrschen aber nicht den Diskurs. Dort gilt die Devise: Was richtig ist, muss getan werden, wenn es dann auch noch rechtens ist, um so besser.

Um zu beurteilen, wann was richtig ist, muss eine Regierung freilich die Interessen ihres Landes kennen, verstehen und kommunizieren können. Daran hapert es in Deutschland traditionell. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler einmal andeutete, dass auch die Sicherung freier Handelswege zu jenen Interessen des Landes zählen könne, die äußerstenfalls militärisch durchzusetzen seien, musste er zurücktreten. Nein, wenn überhaupt, hilft in Deutschland vor allem die Berufung auf Geschichte, Moral und höhere Mächte. Im Kosovokrieg musste ein zweites Auschwitz verhindert werden (Joschka Fischer), zum Hindukusch trieb uns die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (Gerhard Schröder), die Sicherheit Israels gilt wegen der NS-Verbrechen als „Teil der deutschen Staatsräson“ (Angela Merkel). Ansonsten hüllen sich die Regierenden in deutbare Chiffren wie die von der gestiegenen „Verantwortung in der Welt“. Konkret wird keiner gern.

Gauck: Der Grundsatz der Nichteinmischung ist nicht unantastbar

Mit wiederum einer Ausnahme: Joachim Gauck. Die Rede des Bundespräsidenten zur Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz war erfrischend unverblümt, präzise und nüchtern. Es war Gaucks beste Rede bislang. Er scheute sich nicht, Interessen und Gefahren klar zu definieren. Freihandel reime sich auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand, sagte er. Dieses globale Ordnungsgefüge zu erhalten, sei Deutschlands Kerninteresse. Zu den drohenden Gefahren zählte er die Macht von Terroristen ebenso wie die von Cyberkriminellen, was implizit die Notwendigkeit unterstrich, aus der Selbstbetroffenheitsperspektive der Ausgespähten auszubrechen und die mangelnden eigenen technologischen Abwehrfähigkeiten in den Blick zu bekommen. Geografisch strich er den Nahen Osten, „wo sich einzelne Feuer zu einem Flächenbrand zu verbinden drohen“, und Afrika heraus, „um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren“.

Es gibt kein Recht auf Wegsehen, auf Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit, betonte Gauck. Der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten dürfe gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Insbesondere bei Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit müsse Deutschland anderen Menschen zu Hilfe kommen. Zu Einsätzen der Bundeswehr dürfe man weder aus Prinzip „nein“ noch reflexhaft „ja“ sagen. Die Folgen des Unterlassens militärischer Hilfe könnten sogar gravierender sein als die einer Intervention. Das sind starke Worte.

Gleichzeitig sind sie so klar und richtig, dass man fast erschrickt, sie aus dem Munde eines, ja des deutschen Staatsoberhauptes zu hören. Und so vergrößert diese Rede unfreiwillig die Kluft zwischen der so gar nicht selbstverständlichen Sach- und Menschlichkeit Gaucks und den vielen anderen, die in der Sicherheitspolitik wahlweise von „tiefer Betroffenheit“, „Kultur der Zurückhaltung“ oder eben „globaler Verantwortung“ sprechen. Wann je hat man Ähnliches von der Bundeskanzlerin gehört, vom Außenminister oder der Verteidigungsministerin?

Der Bundespräsident hat einen neuen Ton gesetzt. Er hat Floskeln entlarvt und Ausreden demaskiert. Vielleicht ist Deutschland durch ihn erwachsener geworden, ausgebrochen aus dem Zustand selbst verschuldeter ewiger Pubertät.

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