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Sicherheitspolitik: Unsere Ratlosigkeit ist ihre Ratlosigkeit

Wir schulden den Soldaten einen Konsens über die Sicherheitspolitik.

Am 4. September 2009 gab Oberst Klein den folgenschweren Befehl zum Bombardement zweier Lastzüge in Kundus. Es war der blutigste Militärschlag der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg. Er hat eine breite Debatte über den Afghanistaneinsatz, ja über die grundsätzliche Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik ausgelöst. Diese Debatte bekommt nun durch die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente weiter Nahrung.

Ist die Bundeswehr dazu da, dem Weltfrieden im Rahmen der UN-Charta zu dienen, Genozide zu verhindern oder ist sie ein Instrument, vitales Eigeninteresse durchzusetzen? Oder wollen wir unsere Soldaten aus dem hauptsächlichen Grund in Einsätze schicken, um es mit der westlichen Führungsmacht nicht zu verderben? Politik und Gesellschaft sind ratlos geworden, wann und wozu es erlaubt, geboten oder verboten ist, die Bundeswehr einzusetzen. Und dort, wo der Bundestag einen Einsatzbeschluss gefasst hat, herrscht große Unsicherheit, welche Strategie zielführend ist und welche Formen von Gewalt in ihr erlaubt sind.

Man kann und muss diese Fragen abgeklärt und abgewogen reflektieren. Nicht vergessen werden sollte aber, dass sie Soldaten existenziell bedrängen. Sie müssen mit ihrer physischen und psychischen Existenz für die Antworten einstehen. Sie müssen damit leben, zerstört, verletzt und getötet zu haben – nicht nur Terroristen, sondern auch unschuldige Kinder. Für sie stellt sich die Frage, welche Einsätze und Befehle sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Keine Frage: In der Bundeswehr besteht ein erhebliches Verlangen nach ethischer Orientierung. Hierauf hat die Bundeswehr und haben die Kirchen reagiert. In den vergangenen Monaten ist eine Reihe neuer Einrichtungen entstanden, zum Beispiel das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften am katholischen Institut für Theologie und Frieden.

Das Tragische an der gegenwärtigen Situation ist, dass nicht die Möglichkeit besteht, nicht zu handeln. Denn in einen Einsatz nicht zu gehen, stellt auch eine rechtfertigungsbedürftige Form des Handelns dar. So fällt das Parlament Entscheidungen über Einsätze und Strategien, deren Legitimität schon im Parlament strittig ist, zu denen sich weite Teile der Gesellschaft kritisch verhalten und für deren Risiken sie nicht einstehen will. Der Soldat kann somit sein Gewissen nicht mehr damit beruhigen, dass die, die über seinen Einsatz befinden, auf dem Boden eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, den er selbst teilt, Entscheidungen treffen, die von einer erfahrungssatten Erfolgswahrscheinlichkeit getragen sind.

Was zeichnet den ethisch gefestigten Soldaten heute aus? Hier nur so viel: Er muss sich selbst fragen, ob der Einsatz, in den man ihn schicken will, mit seinem Verständnis dessen im Einklang steht, wofür er Soldat geworden ist. Im Rahmen seiner Möglichkeiten muss er ein eigenes ethisches Urteil fällen. Viel wäre erreicht, wenn die neuen Ethik-Institute den Soldaten dies vermitteln und ihnen die Instrumente an die Hand geben, über die Ethik verfügt.

Der Soldat, der sich nach bestem Wissen und Gewissen Rechenschaft ablegt, wird erkennen, dass er sein sittliches Urteil, ob er gehorchen soll oder nicht, unter Ungewissheit fällen muss. So bedrängend es ist, er muss realisieren, dass er besten Gewissens vielleicht nicht zu rechtfertigendes Leid anrichtet oder unnötigerweise Leid auf sich ziehen wird. Keiner wird den Soldaten davor bewahren können, unter all diesem zu leiden. Viel aber wäre gewonnen, wenn den Soldaten vermittelt werden könnte, dass Gewissensnot nicht verwechselt werden darf, mit dem Leiden an moralischer Schuld und Sünde. Es ist vielmehr moralisch hochstehend, dass Soldaten bereit sind, stellvertretend die Ratlosigkeit eines sich seiner Rolle in der Welt unsicher gewordenen Staates auf sich zu nehmen. Die Gesellschaft kann dies alles den Soldaten gegenüber nur verantworten, wenn sie sich mit aller Kraft auf die Suche nach einem wirklich orientierenden Konsens über deutsche Sicherheitspolitik begibt.

Der Autor ist stellvertretender Direktor am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg.

Gerhard Beestermöller

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