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Meinung: Sie erhöhen, weil sie senken wollen

Der nächste Versuch, die Regierung zu verstehen. Heute: die Neuverschuldung

Das Volk, das weiß man ja, ist dumm. Pünktlich zum vierten Advent hat die Regierung ihre Strategie geändert und auf große Reformen, echte Zumutungen, die ganze Wahrheit umgeschaltet. Aber das Volk versteht, ausweislich der katastrophalen Umfragewerte der SPD, bisher nur Bahnhof. Es sieht die Wende gar nicht als Wende, sondern bloß als eine weitere Ausdrucksform des rot-grünen Chaos, das seit der Bundestagswahl um sich gegriffen hat. Eine mittelfristig möglicherweise richtige Politik kommt bei den Bürgern vorerst nur als große Verunsicherung an.

Weil das Volk so dumm ist, versteht es dieser Tage nicht, warum die Regierung die Neuverschuldung ob der verschlechterten Wachstumserwartungen noch weiter in die Höhe treiben will. Denn die Wende im Advent besagte doch, dass man künftig nicht mehr gegen die eigenen Prinzipien verstoßen will: Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Haushaltskonsolidierung, weniger Staat. Gestern jedoch wurden überhaupt keine anderen Vorschläge ernsthaft erörtert als eben die höhere Neuverschuldung.

Im Zuge dessen kehrte die Kakophonie in selten gehörter Perfektion zurück: Wolfgang Clement sagte, eine höhere Neuverschuldung könne schon kommen. Darauf erwiderte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, eine Neuverschuldung solle eher nicht sein und wenn, dann würde sie die Maastricht-Kriterien ganz bestimmt nicht verletzen. Woraufhin das Finanzministerium ergänzte, die Verletzung der Haushaltsziele bis 2006 sei durchaus möglich. Was denn nun?

Das Volk wird hier nur das Schlimmste annehmen: Auch diese Wachstumsprognose ist wieder zu optimistisch, die Regierung geht in die Neuverschuldung, und die sprengt die Kriterien des Maastricht-Vertrages. Aber, wendet die Regierung ein, so glaubt uns doch: Wir erhöhen die Neuverschuldung, weil wir sie eigentlich senken wollen. Wir erhöhen die Steuern und Sozialabgaben und Arbeitslosenzahlen nur, weil wir sie eigentlich verringern wollen.

Aber das Volk ist nicht nur dumm – es ist auch misstrauisch. Es nimmt weder den Roten noch den Grünen diese mittelfristige Reformbereitschaft ab. Es will Beweise sehen. Und was hat es gesehen? Einen von der Regierung ausgehandelten Tarifabschluss, der so hoch ist, dass Kommunen und Länder fluchtartig die Tarifgemeinschaft verlassen; der die Öffentliche Hand noch weiter in die Neuverschuldung treibt; der die Kommunen zum Stellenabbau zwingt, was überwiegend die Jüngeren trifft, die keine Stelle mehr bekommen. Kann das Volk das als Beweis von Reformwillen und Konfliktbereitschaft verstehen?

Falls ihr noch jemand zuhört, dann könnte die Regierung wiederum einwenden, der Tarifabschluss gehöre noch zur voradventlichen, zur überholten Politik. Aber jetzt, jetzt endlich gehe es los. Und das müsse es auch. Brüssel wird die nun geplante Neuverschuldung nur akzeptieren, wenn Rot-Grün zugleich einen Reformkatalog vorlegt, der wirklich einer ist, und der vor allem den Eindruck erweckt, als würde in die Zukunft investiert und für die Zukunft gespart.

Da trifft es sich gut, dass in dieser Woche Gesundheitsministerin Ulla Schmidt – deren Selbstbehalt-Zuzahlungs-oft-zum-Arzt-selten-zum-Arzt-Vorschläge draußen im Lande niemand mehr versteht und von der böse Zungen behaupten, sie verstünde es selbst nicht – das Konzept für eine Gesundheitsreform vorlegen will. Da Glaubwürdigkeit und Verstehbarkeit der Regierung spätestens nach der neuesten Neuverschuldungsrunde am seidenen Faden hängen, muss es schon ein enorm mutiges Konzept werden.

Es darf gespannt sein, das Volk. Das ja in Wahrheit nicht dumm ist, sondern klug genug, sich dumm zu stellen, solange die Politik nicht klar redet und konsequent handelt.

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