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Meinung: Sie sollten sich schämen

Das gemeinsame Gedenken an den 9. November 1938 droht im Parteienstreit unterzugehen

Von Frank Jansen

Der 9. November ist nur noch zwei Wochen entfernt. An dem Tag werden wahrscheinlich prominente Politiker aller demokratischen Parteien öffentlich äußern, dass der 70. Jahrestag der Reichspogromnacht Anlass ist, in Scham und mit Entsetzen daran zu erinnern, was damals in Deutschland geschah. Und es wird allseits die Mahnung zu hören sein, niemals wieder dürften sich die Verbrechen wiederholen, die das NS-Regime und die vielen willigen Mittäter zu verantworten haben.

Aber es könnte am 9. November, so ist heute zu befürchten, unklar sein, ob die Parteien in der Lage sind, sich auf eine substanzielle Geste über die Reden hinaus zu verständigen. Der Streit, der jetzt im Bundestag hochkocht, wer mit wem das Amt eines Bundesbeauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus beantragt, birgt die Gefahr einer Blamage.

Seit einem Jahr verhandeln Vertreter aller Fraktionen über dieses Projekt. Die Gespräche waren weit gediehen, aber in den letzten Monaten war das Interesse der Öffentlichkeit gering. Inzwischen ist es jedoch zu einem Konflikt zwischen den Fraktionen gekommen: vor allem darüber, ob die Linke in einen gemeinsamen Antrag einbezogen werden soll. Die Union verweist auf die dezidiert antiisraelische Politik der DDR, auch auf antisemitische Einstellungen in Teilen der Linken, und will deren Fraktion aus dem Antrag heraushalten. Die Vorwürfe sind im Kern plausibel. Viele Linke, allen voran Gregor Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, mahnen schon lange abdriftende Genossen zur Einsicht. CDU und CSU müssen sich aber vorhalten lassen, dass sie 2005 trotz ihrer Vorbehalte gemeinsam mit der Linken die Resolution „Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung“ verabschiedet haben. Und im Jahr 2000, damals mit der PDS, das Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

CDU und CSU haben offenbar Angst davor, ein gemeinsamer Antrag mit der Linken könnte eine Hypothek für das Superwahljahr 2009 bedeuten. Vor allem wenn die Union die SPD wegen ihres ambivalenten Verhältnisses zur Linken anprangern möchte. Solche Überlegungen sind wahltaktisch legitim – und dennoch unklug. Angesichts der vielen antisemitischen Straftaten sowie grassierender Ressentiments in allen Bevölkerungsschichten erscheint das Vorhaben, der Bundestag setze geschlossen ein Zeichen, gerade mit Blick auf den 9. November, ein Gebot demokratischer Vernunft und Moral. So sieht es auch die Kanzlerin.

Ein Bundesbeauftragter wird den Antisemitismus nicht zum Verschwinden bringen. Aber er könnte Aufklärung und Bildung befördern und damit den Abbau von Ressentiments. Wer wollte sich dem verweigern? Und den Überlebenden der Pogromnacht sowie den Opfern antijüdischer Angriffe heute signalisieren, Parteienstreit habe am 9. November Vorrang?

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