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Meinung: Sind so kleine Vampire

Die Zeckengefahr wird von den Pharmafirmen heillos übertrieben

Alexander S. Kekulé Fiese Viecher sind das ja schon, diese Zecken. Blutrünstig lauern sie im Gras oder auf Sträuchern. Den Schweiß und Atem ihrer Opfer wittern die kurzsichtigen Spinnentiere meterweit, mit einem speziellen Geruchsorgan an den Vorderbeinen. Im richtigen Moment lassen sie sich abstreifen, manche Arten jagen ihrer Beute sogar hinterher. Dann klettern sie seelenruhig auf ihrem ahnungslosen Leckerbissen herum, bis sie nach Stunden eine besonders appetitliche Stelle gefunden haben. Am liebsten nehmen sie ihre Blutmalzeit an versteckten Orten mit dünner Haut ein, wo sie unentdeckt bleiben – etwa hinter den Ohren, in den Achselhöhlen oder der Schamregion.

Dort bohren sie genüsslich ihre Mundwerkzeuge hinein, bis zu eine Viertelstunde lang. Ein betäubendes Sekret verhindert, dass das Opfer etwas davon bemerkt. Wenn sie auf eine feine Ader stoßen, klinken die Minivampire kräftige Widerhaken ein und fangen an zu saugen. Damit das Blut nicht gerinnt, pumpen sie es zusammen mit ihren Verdauungssäften gelegentlich zurück in die Wunde. Weil sie das anfangs selten, später jedoch immer häufiger tun, steigt die Infektionsgefahr mit der Dauer des Saugaktes. Nach einigen Tagen ist der Parasit zum Platzen voll, sein Gewicht hat sich auf das 200fache erhöht. Jetzt muss er sich ständig übergeben, wobei große Mengen Verdauungssaft (und Krankheitserreger) zurückfließen. Erst wenn die Zecke sternhagelvoll und pappsatt ist, hakt sie sich aus und verlässt ihren Wirt.

Weil Zecken auch Mäuse, Vögel und andere Wildtiere stechen, können sie deren Viren und Bakterien auf den Menschen übertragen. Bei der in Deutschland häufigsten Zeckenart, dem „gemeinen Holzbock“, ist stellenweise ein Fünftel der Tiere von Borrelien befallen. In einigen Regionen Süddeutschlands können sie zusätzlich den Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) übertragen.

Das alles klingt ziemlich unappetitlich und gefährlich – die derzeitige Zeckenhysterie ist trotzdem vollkommen übertrieben.

Selbst die mit Abstand häufigste durch Zecken übertragene Krankheit, die Lyme-Borreliose, tritt nur bei etwa einem Prozent der Gestochenen auf. Überdies kann die Infektion durch Entfernung der Zecke innerhalb von acht Stunden nahezu sicher verhindert werden. Wurde eine saugende Zecke übersehen, kommt es auf die richtige Diagnose der Hautveränderungen („Wanderröte“) und Lähmungen an: Rechtzeitig verabreichte Antibiotika heilen nahezu alle Patienten. Schuld an problematischen Verläufen der Lyme- Krankheit sind fast immer achtlose Patienten und schlecht ausgebildete Ärzte.

Auch die Bedrohung durch FSME wird übertrieben. Pharmafirmen geben angebliche „Risikokarten“ heraus, auf denen mehr Gefahrzonen markiert sind als auf der offiziellen Karte des Robert- Koch-Instituts. Auch als Folge der medialen Aufregung („Zecken- Alarm“) werden insbesondere Kinder massenhaft geimpft. Was die Impfstoffwerbung verschweigt: Die FSME verläuft bei Erwachsenen in rund 70 Prozent ohne Symptome und auch sonst meist folgenlos. Die gefürchteten Hirnschäden treten bei weniger als einem Prozent, meist älteren Patienten auf. Bei Kindern ist die FSME praktisch immer harmlos wie eine Erkältung, im allgemeinen wird die Infektion gar nicht bemerkt. Auch bei FSME kann das Infektionsrisiko durch frühzeitige Entfernung der Zecke reduziert werden.

Dazu sind die Naturherde für FSME meistens auf bestimmte Areale von einigen Quadratkilometern begrenzt, die den örtlichen Gesundheitsbehörden bekannt sind. Nur für Menschen, die sich tatsächlich in diesen Risikogebieten im Freien aufhalten, wird die Impfung empfohlen.

Vollends überflüssig ist die Angst vor der „Auwaldzecke“, die neuerdings als Schrecken des Waldes durch die Medien geistert. Das Vorkommen dieser Zeckenart in Deutschland ist weder neu noch Folge des Klimawandels – Auwaldzecken leben hier seit über 40 Jahren und befallen regelmäßig Hunde. Weil sie dreimal so groß wie Holzböcke sind und ihre Stiche oft schmerzen, kommen sie beim Menschen kaum zum Zuge. Bisher wurde hierzulande keine einzige menschliche Infektion durch Auwaldzecken bekannt.

Dass der Klimawandel eines Tages neue Zecken und andere Krankheitsüberträger nach Mitteleuropa bringen wird, steht leider außer Frage. Solange das noch nicht der Fall ist, braucht der Mensch gegen Zeckenkrankheiten vor allem drei Dinge: Ein wachsames Auge, eine spitze Pinzette und eine ruhige Hand.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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