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Die Jugendlichen von heute wollen laut Sinus-Jugendstudie nicht auffallen.

© dpa/Jörg Carstensen

Sinus-Jugendstudie: Die Jugend ist angepasst - na und?

Rebellion ist out: Jugendliche wollen heute "so sein wie alle". Alt-68er kritisieren diese Angepasstheit gern. Aber was ist schlimm am Mainstream? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Maria Fiedler

Abgrenzung, Provokation, Rebellion. Den Jugendlichen von heute ist das nicht mehr wichtig. Sie wollen „so sein wie alle“, Mainstream also, und bloß nicht auffallen. Das ist das Fazit der großen Sinus-Jugendstudie, für die 72 Jugendliche aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten eingehend befragt worden waren. In dieser Erkenntnis schwingt derselbe Vorwurf mit, den auch die Alt-68er der Jugend gerne machen: Ihr geht nicht mehr auf die Straße. Ihr seid angepasst und langweilig. Da möchte man zurückfragen: Was ist denn so schlimm am Mainstream?

Provokation ist schwierig geworden

Der Mainstream ist heute viel breiter als vor 10, 20 oder 30 Jahren. Womit sollen Jugendliche heute noch provozieren? Welches Tabu noch brechen? In den 50ern gab es den Rock’n’Roll. In den 60ern die Studentenproteste. In den 70ern begannen die Hausbesetzungen. Und in den 80er Jahren kam der Punk auf mit Irokesenschnitt und Lederjacke. Jede Generation hatte ihre Art sich abzugrenzen, zu provozieren und zu rebellieren. Aber heute? Piercing, Tattoo und Löcher in der Hose – sieht man längst überall. Als junger Mann mit dem Freund händchenhaltend auf der Straße laufen – zumindest in Großstädten ganz normal. Und als Frau einen Männerberuf ergreifen? Da lächelt die Auszubildende zur Zerspanungsmechanikerin nur müde. Vielfalt gehört zum Mainstream dazu.

Haus und Garten - ist das langweilig?

Gleichzeitig ist die Welt komplex geworden. Komplexer zumindest, als sie es in den 60er und 70er Jahren war. Die Meeresspiegel steigen, unsere Daten geistern ungeschützt im Internet umher, und wie hoch später die Rente sein wird, darüber denken junge Menschen lieber nicht nach. Da bietet der Mainstream Orientierung. Sich gemeinsam nach Geborgenheit und Akzeptanz sehnen – das verbindet. Und feste Zweierbeziehungen geben Sicherheit. Zwar fällt das Festlegen auf eine Person in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten vielen schwer. Trotzdem wollen die meisten später mit einem Partner glücklich werden. Und wenn zu dieser Vorstellung Haus und Garten oder zumindest Hund und Balkon dazugehören? Ist das dann langweilig? Viele Alt-68er sitzen mittlerweile vermutlich ebenfalls im Garten hinter ihrem Eigenheim und züchten Tomaten.

Mainstream und trotzdem individuell - geht das?
Mainstream und trotzdem individuell - geht das?

© picture alliance / dpa

Shitstorm statt wütender Demonstration

Außerdem ist der Protest in den vergangenen Jahren durchaus nicht zurückgeblieben. Er hat sich nur gewandelt, ist subtiler geworden. Es geht nicht mehr gegen das System als Ganzes, sondern gegen Ausschnitte. Das drückt sich zum Beispiel im Kaufverhalten aus. Da schlägt sich der Unmut über unmenschliche Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt eben im Kauf eines Fairphones nieder, einem fair produzierten Mobiltelefon. Junge Menschen unterschreiben Online-Petitionen gegen die Schließung des Kiosks um die Ecke, aber auch gegen TTIP. Sie beteiligen sich an Shitstorms, die es durch die katalysierende Wirkung der Medien bis in die Tagesschau schaffen können. Und manche finden sich dann doch bei im Internet organisierten Flashmobs auf der Straße wieder.

Der Protest äußert sich heute nicht mehr in wütenden Demonstrationen. Na und? Trotzdem haben junge Menschen eine Meinung. Die Rebellion gegen den Mainstream gehört offenbar nicht mehr zum Erwachsenwerden? Wen stört’s? Die Jugendlichen von heute sind trotzdem individuell. Vielleicht liegt am Ende ihre größte Provokation gerade darin, spießiger zu sein als die eigenen Eltern.

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