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Meinung: So kalt ist der Frieden

Zehn Jahre nach dem Völkermord: Ruanda hat eine Vision 2020 – nur soll keiner die Fehler übersehen

Es war der schnellste Völkermord der Geschichte. Heute vor zehn Jahren begann das bestialische Schlachten in Ruanda – in nur 100 Tagen wurden 800 000 Menschen umgebracht. 333 pro Stunde, fünf pro Minute. Angestachelt von der um ihre Macht fürchtenden Hutu-Elite wurden rund drei Viertel der Tutsi-Minderheit und moderate Hutu ausgelöscht. Blutrausch am Ende des 20. Jahrhunderts mit den Waffen des Mittelalters – Stöcke, Macheten, Hacken. Die Welt schaute weg. Sie weigerte sich, das Grauen beim Namen zu nennen. Denn hätten die UN von Genozid gesprochen, hätten sie eingreifen müssen. So sieht es die Völkermordkonvention von 1948 vor. Heute wird des Schreckens gedacht. Ruandas Präsident Kagame, der das Morden damals beendete, hat der Welt noch einmal ihr Versagen vorgehalten.

Seine Bilanz kann sich sehen lassen. Das Land gilt heute als eines der sichersten in der so genannten Dritten Welt. Die Regierung hat es geschafft, dass die Menschen trotz der unvorstellbaren Traumata zusammen in dem kleinen Land leben. Die Wirtschaft kommt voran – auch wenn man in einem der ärmsten Staaten der Welt keinen Boom erwarten sollte. Dem Präsidenten ist klar, dass in seinem kleinen Land ohne Bodenschätze und Zugang zum Meer niemand ein Stahlwerk oder andere Produktionsstätten bauen wird. Seine „Vision 2020“ sieht ein Dienstleistungszentrum für die Region vor – vielleicht in der IT-Branche. Die drei Sprachen Französisch, Englisch und Kinyaruanda könnten eine Brücke in die Nachbarländer bilden. Wenn das Land es dann noch schafft, sich gemeinsam mit seinen Nachbarn als Tourismusregion zu etablieren, die mit den Berggorillas ein faszinierendes Erlebnis bietet, dann ist Kagames Rechnung aufgegangen.

Doch bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg. Zwar wird heute in Ruanda mit einer großen Gedenkfeier an den Genozid erinnert, ein Memorial internationalen Ausmaßes eröffnet. Damit ist das afrikanische Land weiter, als es Deutschland im Jahr 1955 war. Das ist beeindruckend, zumal in Ruanda Nachbarn Nachbarn umgebracht haben und die Familien der Täter und Opfer heute oft wieder Nachbarn sind. Aber: Versöhnung gibt es noch nicht. Heute wird vor allem verdrängt. Manchen Überlebenden geht es schlechter als den Tätern. Offiziell gibt es keine Hutu oder Tutsi mehr – aber jeder weiß, wer der andere ist. Das ist Konfliktpotenzial.

Die Ruhe ist mit harter Hand erkauft. Die Partei duldet keinen Widerspruch. Wer nicht auf ihrer Linie liegt, bekommt das zu spüren. Kritische Journalisten müssen damit rechnen, im Gefängnis zu landen. Das ist noch keine Demokratie. Die Welt hat zu Recht ein schlechtes Gewissen, aber sie muss auch aufpassen, dass sie nicht, weil sie über Kagames Erfolge erleichtert ist, zu wenig dorthin schaut, wo etwas schief läuft.

Im Großen versucht die Welt zu lernen. UN-Generalsekretär Kofi Annan, der damals für die Friedensmissionen zuständig war, hat inzwischen das damalige Versagen eingestanden und ein Völkermord-Frühwarnsystem vorgeschlagen. Richtig ist, je schneller ein Hinweis Öffentlichkeit findet, desto eher gibt es die Chance des Einschreitens. Doch: Ein neues Instrument allein bringt nichts. Was zählt, ist der politische Wille. Der hat 1994 gefehlt, nicht die Informationen. Ob vorab heute wirklich jemand eingreifen würde?

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