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Meinung: Sonntags Schäuble: Seriös, das wäre sensationell

Genossen, lasst die Tassen im Schrank! An diese Mahnung des früheren Wirtschaftsministers Schiller wird erinnert, wer in den letzten Wochen die Prozesse öffentlicher Hysterie beobachtet und die Art, wie sich Regierungsmitglieder eilfertig an die Spitze der Bewegung zu stellen suchen.

Genossen, lasst die Tassen im Schrank! An diese Mahnung des früheren Wirtschaftsministers Schiller wird erinnert, wer in den letzten Wochen die Prozesse öffentlicher Hysterie beobachtet und die Art, wie sich Regierungsmitglieder eilfertig an die Spitze der Bewegung zu stellen suchen.

Erst war es die Debatte um Christoph Daum, die die Justizministerin nicht ruhen ließ. In "Bild"-Zeitungskommentar und Fernsehauftritt glaubte sie, rechtsstaatliche Prinzipien gegen Uli Hoeneß verteidigen zu müssen, und am Ende offenbarte sie nur, dass sie weder Ahnung noch das notwendige Maß an Zurückhaltung hatte.

Zuvor schon mischte sich der Bundestagspräsident in den Streit um eine Abschie-bungsentscheidung in Brandenburg so lautstark und einseitig ein, dass selbst sein Parteifreund Stolpe auf Distanz gehen musste.

Und in der entsetzlichen Geschichte um den Tod eines 10-jährigen Jungen im sächsischen Sebnitz, wo eine ganze Stadt wegen angeblicher Ausländerfeindlichkeit und stillschweigender Duldung eines Mordes an einem Kind praktisch schon verurteilt war, obwohl niemand Genaues weiß und nicht einmal bewiesen ist, dass das Kind durch Verschulden Dritter sterben musste - da war es der Bundeskanzler höchst persönlich, der sich medienwirksam mit der Mutter treffen musste. Viel Schlimmeres, als dass eine Mutter ihr Kind verlieren muss, gibt es kaum, und deshalb spricht nichts gegen Trost auch von höchster Stelle. Aber die Inszenierung kam in der Wirkung doch einer Parteinahme in einem laufenden Verfahren sehr nahe, und das sollte ein Bundeskanzler meiden.

Si tacuisses, philosophus mansisses. Hättest du geschwiegen, wärest du Philosoph geblieben. Wir müssen nicht von Philosophen regiert werden, aber ein wenig Zurückhaltung gebietet sich gerade für die Inhaber höchster Ämter im demokratischen Rechtsstaat schon.

Juridical self-restraint, richterliche Selbstbeschränkung, ist ein wichtiges Prinzip der Verfassungsrechtsprechung. Das Gebot sollte im freiheitlichen Verfassungsstaat insgesamt gelten. Institutionen des Verfassungsstaats sind auf Zurückhaltung im Umgang miteinander angelegt und nicht auf Ausschöpfung ihrer Zuständigkeiten und Einflussmöglichkeiten bis zum letzten. Auch Wichtigtuerei ist das Gegenteil von Zurückhaltung.

Exzessive Medienberichterstattung kann zeitweilig geradezu hysterische Züge annehmen. Das mag eine Folge der gewaltigen Vermehrung von Medien und Informationen sein, die dazu führt, dass der Wettbewerb um Aufmerksamkeit - also um Auflage oder Einschaltquote - härter wird. Darüber ist nicht zu klagen. Zumal eine weitere Folge ist, dass der Wechsel der Gegenstände öffentlicher Erregung schneller erfolgt, das öffentliche Gedächtnis also kürzer wird. Ist es wirklich erst drei Monate her, dass sich Deutschland fast nur noch mit Kampfhunden zu beschäftigen schien?

Aber gerade deshalb ist wichtig, dass diese inszenierte Scheinwelt nicht mit der Wirklichkeit verwechselt wird. Kontinuität und Seriosität bilden Gegengewichte. Institutionen des Verfassungsstaates können etwas davon vermitteln. Darauf sollten sich die Inhaber von Staatsämtern konzentrieren. Sie brauchen nicht auf jeder Hochzeit der Boulevardpresse zu tanzen. Sie hätten genügend anderes und Wichtigeres zu tun.

Wolfgang Schäuble ist Präsidiumsmitglied

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