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Nicht die Herkunft bestimmt, wo es hingeht, sondern das soziale Umfeld.

© dpa

Sozialpolitik: Berlin ist noch lange nicht am Ziel

Fast die Hälfte aller Berliner Kinder wächst in Hartz-IV-Haushalten auf. Die beste Sozialpolitik, um die Armut zurückzudrängen, sind neue Arbeitsplätze. Doch man muss das wollen und nicht als Gentrifizierung beklagen.

Armut hat eine Farbe: Rot sind im Sozialatlas jene Quartiere, wo sich Arbeitslosigkeit, hoher Ausländeranteil, Kinderarmut und Bildungsferne zu Hoffnungslosigkeit ballen. Da haben sich „negative Entwicklungstendenzen verfestigt“, heißt das in jener Sprache, in der Probleme nicht so schlimm aussehen, wie sie wirklich sind. Es sind die Familien mit Kindern, die am meisten leiden. Fast die Hälfte aller Berliner Kinder wächst in Hartz-IV-Haushalten auf und jedes dritte Kind gilt als arm. In den Brennpunktkiezen ist der Anteil der bedürftigen Kinder achtmal höher als in den besseren Gegenden. Im jährlichen „Monitoring soziale Stadt“ haben sich die anklagend roten Tupfen auch durch Bildungsbündnisse, Quartiersmanagement oder das Programm „Aktionsraum plus“ nicht aufgelöst – manche Kieze sind weiter abgerutscht. Es macht beklommen, wenn die Stadtentwicklungssenatorin sich in ihrer Arbeit bestätigt sieht, weil sich die Spaltung zwischen reichen und armen Vierteln verlangsamt habe.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der vor einem Jahr die soziale Stadt zu einem zentralen Thema rot-roter Politik gemacht hat, wird am Mittwoch den Familienbericht entgegennehmen. Der Bericht ist seit längerem fertig; ganz zufällig passt die Übergabe gut in den beginnenden Wahlkampf. Am Wochenende hat die SPD-Fraktion als Wahlkampfgeschenk schon mal ein teures Paket beschlossen. Ganztagsbetreuung in Kitas und Horten gehören dazu und Essen an allen Schulen. Das leisten wir uns, sagt der Senat. Schon seit Jahresanfang sind alle drei Kita-Jahre kostenlos – zum Unwillen anderer Bundesländer, die mit einer Klage gegen den Länderfinanzausgleich erreichen wollen, dass an der Spree nicht Wohltaten finanziert werden, die sie sich selbst nicht leisten.

Nicht nur Bayern und Hessen könnten zweifeln, ob viel Geld viel bringt. Berlin hat einiges getan für Familien, die die Angebote nutzen wollen. Die Betreuungsmöglichkeiten sind vergleichsweise hervorragend, nirgendwo Beruf und Kindererziehung so gut vereinbar. Doch in den Problemkiezen nimmt die Zahl der Kinder mit Sprachdefiziten zu, und es ist zunehmend der deutschstämmige Nachwuchs, nicht der von Migranten.

Familienfreundlichkeit soll zu einem Markenzeichen des Wirtschaftsstandortes werden, sagt die SPD. Klingt schief in der Stadt mit der bundesweit immer noch höchsten Arbeitslosigkeit. Dass Berlin seit 2004 beim Beschäftigtenzuwachs bundesweit an der Spitze liegt, wie sich der Wirtschaftssenator rühmt, zeigt nur, wie weit es zurückgelegen hat. Mehr als 140 000 Jobs sind in den vergangenen Jahren in der Medien-, Gesundheits- oder Verkehrsbranche entstanden, doch in den Problemvierteln kommen nur unqualifizierte Jobs an, die so schlecht bezahlt sind, dass dass Land aufstocken muss. So kommt niemand aus der Armut heraus. Nach einem rot-roten Jahrzehnt zeigt sich trotz vieler Schulreformen, dass Bildungspolitik es noch nicht geschafft hat, sozial Schwache ausreichend für die Berufswelt zu qualifizieren.

Die beste Sozialpolitik, die die Landkarte der Armut aufhellt, sind neue Arbeitsplätze. Ein einstiger Problemkiez in Friedrichshain liegt in der Spitzengruppe, seitdem sich dort Menschen mit Job ihre Townhouses gebaut haben. Schon richtig, man muss das wollen und nicht als Gentrifizierung beklagen. „Gebt keine und keinen verloren“, mahnte der evangelische Bischof Markus Dröge die SPD am Wochenende. Ja, das kostet Geld. Aber mit Geld allein geht es nicht.

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