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Meinung: Späte Reifeprüfung

Die Bundesgesundheitsministerin hat gestern offenbart, wie sie sich eine langfristige Reformpolitik im Gesundheitswesen vorstellt: Das Gesundheitskartell soll entmachtet werden, indem viele Aufgaben, die bisher die Ärzteorganisationen wahrgenommen haben, auf die Krankenkassen verlagert werden. Das heißt, dass diejenigen, die die Rechnungen bezahlen, mehr Mitspracherechte über die Leistungen bekommen.

Die Bundesgesundheitsministerin hat gestern offenbart, wie sie sich eine langfristige Reformpolitik im Gesundheitswesen vorstellt: Das Gesundheitskartell soll entmachtet werden, indem viele Aufgaben, die bisher die Ärzteorganisationen wahrgenommen haben, auf die Krankenkassen verlagert werden. Das heißt, dass diejenigen, die die Rechnungen bezahlen, mehr Mitspracherechte über die Leistungen bekommen. Und die Patienten sollen für vernünftiges Verhalten - etwa durch das Aufsuchen des Hausarztes, bevor der Facharzt bemüht wird - mit Rabatten belohnt werden.

Ulla Schmidt muss nun beweisen, dass sie diese Ideen auch umsetzen kann. Bis zu den Bundestagswahlen gilt es, mit schnell wirksamen Maßnahmen den weiteren Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu bremsen. Danach geht es an die großen Reformen - dann heißt es, jene Konflikte mit Ärzten, Apotheken, Krankenkassen, dem Bundesrat und den Patientenverbänden zu riskieren, vor denen sich Schmidt bisher gedrückt hat.

Ihre eigenen Genossen haben die Räume eng gemacht - und mit dem Sachverständigen-Konzept den Entwurf für das präsentiert, was sie erwarten. Kein Zufall ist, dass sich das Konzept wie eine Langfassung eines Thesenpapiers des rheinland-pfälzischen Sozialministers Florian Gerster liest. Sozialdemokraten und Sozialpolitiker lassen in diesen Tagen gerne durchblicken, dass sie den Job des Gesundheitsministers auch Gerster zutrauen würden. Und: Morgen wird das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine Studie veröffentlichen, in der steht, was passiert, wenn nichts passiert. Dann nämlich werden die Beiträge auf deutlich über 20 Prozent steigen.

Mehr Rückenwind für Reformen hat noch kaum ein Sozialminister in einer Woche bekommen. Mehr Druck aber hat es bisher auch selten gegeben. Alle Experten sagen dasselbe: Der Gesetzgeber darf nicht eine Mark mehr in das System geben, bevor es nicht nachweisbare Reformerfolge gibt. Das heißt, dass Anhebung und Erweiterung der Beitragsbemessungsgrenze, sowie eine Verlagerung der versicherungsfremden Leistungen auf den Bundeshaushalt tabu sind, bevor die Gesundheitsministerin nicht bewiesen hat, dass sie Reformen will. Und sie durchsetzen kann.

Rhetorisch hat sie gestern das geleistet, was im Jahr vor der Wahl möglich ist. Im Machtpoker zwischen Krankenkassen, Ärzten, Patienten, Pharmaunternehmen und Apotheken will sie die Krankenkassen stärken. Damit soll Wettbewerb in das Gesundheitssystem gebracht werden, der eine bessere Versorgung der Patienten möglich macht. Das wird nur dann funktionieren, wenn die Kassen zu Unternehmen werden, die den Wettbewerb um niedrige Verwaltungskosten, um besseren Service und attraktivere Leistungspakete führen.

Ulla Schmidt scheint bereit zu sein, jetzt allen wenigstens ein bisschen auf die Füße zu treten. Den Ärzteorganisationen damit, dasssie den Kassen das Recht einräumt, Verträge mit Ärzten und Krankenhäusern abzuschließen. Den Patienten, indem sie zu vernünftigem Handeln gezwungen werden: Wenn sie etwa den Hausarzt besuchen müssen, bevor sie eine Überweisung zum Facharzt bekommen. Den Apothekerverbänden, indem sie Internetapotheken und Medikamentenversendern zulässt und damit andere Vertriebswege öffnet.

Das alles kann helfen, das deutsche Gesundheitswesen effizienter zu machen und den Kostenanstieg da zu bremsen, wo er unnötig ist. Aber es macht die Versorgung noch nicht besser. Und sorgt vor allem nicht dafür, dass Gesundheit billiger wird. Gesundheit wird immer teurer, weil die Menschen immer älter werden und weil der medizinische Fortschritt immer mehr kostet. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn die Patienten wieder das Gefühl bekämen, für ihre Beiträge ordentlich behandelt zu werden.

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