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SPD: Ideen des März

Die SPD sieht aus wie die Verliererin der großen Koalition – darin liegt eine Chance

Keine hundert Tage sind vergangen, und bei der SPD kehrt Ernüchterung ein. Die Partner der großen Koalition befinden sich eben doch nicht „auf Augenhöhe“; die Union sieht wie der Gewinner, die SPD wie der zwangsläufige Verlierer des gemeinsamen Unternehmens aus.

In erster Linie ist das ein Befund aus der ungeduldigen Welt der Medien. Er leitet sich aus den aktuellen Umfragen ab. Dass sich die SPD davon nervös machen lässt, ist ebenso erstaunlich wie folgerichtig. Erstaunlich, weil die SPD zweimal, bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005, zu ihrem Vorteil erlebt hat, dass Umfragen und Wahlen zweierlei Ding sind. Folgerichtig, weil auf den Jubel der SPD über die hohe Dosis Sozialdemokratie in Programm und Personal der großen Koalition der Katzenjammer folgen musste.

Am Aufstieg von Angela Merkel zum Star der deutschen Politik zeigt sich eine einfache Wahrheit. Acht SPD-geführte Ministerien wiegen eine Kanzlerin nicht auf. Alles, was diese Regierung gut macht, wird mit Merkel nach Hause gehen. Das gilt zwar auch für die potenziellen Misserfolge – woraus jedoch niemandem ein Vorteil erwachsen kann. Gegen diesen strukturellen Nachteil für die SPD ist kein Kraut gewachsen. Jeder Versuch der Profilierung gegen die große Koalition wird allen Beteiligten mehr schaden als nutzen, der Regierung, den beteiligten Parteien, dem ganzen Land.

Die SPD richtet in dieser Situation den Blick auf ihren neuen Vorsitzenden – und wird erst recht kleinmütig. Denn der Kontrast zwischen der auf allen internationalen Bühnen glänzenden Bundeskanzlerin und Matthias Platzeck ist beträchtlich. Und er ist ebenso wenig aufzuheben wie der strukturelle. Merkels Bühne ist größer und heller als die eines Parteichefs, und so wird es bleiben.

Kann die SPD also nur verlieren in der großen Koalition? Ganz sicher, wenn sie darauf hofft, dass ihr neuer Vorsitzender wiederholt, was der alte Kanzler in seinen letzten Wahlkämpfen vorgemacht hat. Wahlen, sagt die Erfahrung der SPD, kann sie dann gewinnen, wenn punktgenau zum Wahlsonntag ein großer Zampano alle Defizite der SPD vergessen und die der anderen Volkspartei überdeutlich sichtbar macht. Sie sollte es nicht zur Gewohnheit werden lassen. Was Gerhard Schröder im letzten Jahr noch einmal fast gelungen ist, hat ja in eben jene Konstellation geführt, in der die SPD sich jetzt befindet.

Die große Koalition hat wirklich Macht. Die Chance der SPD: Das schafft Freiheiten für einen neuen Wettbewerb, den Ideenstreit statt Parteiengezänk. Die geistigen Bestände der Volksparteien sind so reformbedürftig wie der ganze Staat. Nicht gegen, aber neben der großen Koalition darf laut darüber nachgedacht werden, wie das Land aussehen soll, in zehn oder zwanzig Jahren. Soll Deutschland den skandinavischen oder angelsächsischen Vorbildern nacheifern? Was kann das sein, der moderne europäische Sozialstaat? Kann man ihn durch Regeln zügeln, den globalisierten Kapitalismus? Dieser Wettbewerb ist völlig offen.

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