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Meinung: Sprung aus dem Mittelalter

Von Clemens Wergin

Die Taliban und Al-Qaida-Kämpfer wissen, wie man mit geringem Aufwand großen Schaden anrichtet. Und so wäre es ihnen ohne das Eingreifen der US-Truppen wohl gelungen, in der afghanischen Provinz Helmand einen Staudamm zu sprengen – rechtzeitig zu den Parlamentswahlen. Die Terroristen haben in den letzten sechs Monaten alles versucht, Wahlen zu verhindern, die die Taliban als westliche Ketzerei betrachten. 1220 Menschen wurden getötet, darunter sieben Kandidaten und vier Wahlhelfer. Aber auch wenn die Extremisten wieder bewiesen haben, dass sie über erhebliches Störpotenzial verfügen, so ist es ihnen dennoch nicht gelungen, die Bevölkerung einzuschüchtern. Immerhin 2800 Kandidaten haben sich aufstellen lassen, 330 davon Frauen. Ihr Mut verdient es, dass die Afghanen heute mindestens genauso zahlreich zu den Wahlurnen strömen wie die Iraker Ende Januar, die trotz großer Gefahren ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Entschlossenheit abgelegt hatten, Demokratie zu wagen.

Gemessen an westlichen Maßstäben, wird Afghanistan bis auf weiteres militärisches, politisches und wirtschaftliches Notstandsgebiet bleiben. Aber wer die knapp vier Jahre seit dem Sturz der Taliban an Idealvorstellungen misst, verkennt die Fortschritte, die seither gemacht wurden. So sind ungefähr ein Viertel der Abgeordnetensitze für Frauen reserviert, viele Mädchen gehen wieder in die Schule. Es gibt schon mehr als 80 Zeitungen, und besonders die Jungen im Land sind hungrig darauf, zu verstehen, was in der Welt vor sich geht und wie Afghanistan vorankommen kann. Der Sprung aus dem Mittelalter der Talibanherrschaft in die Moderne kann nicht über Nacht gelingen. Aber die erste Parlamentswahl seit 1969 ist ein Beleg dafür, dass Afghanistan zumindest auf dem richtigen Weg ist.

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