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Meinung: Stahlindustrie: Werteverfall

Der amerikanische Präsident hat eine kurzsichtige, wirtschaftlich törichte und politisch gefährliche Entscheidung getroffen. George W.

Der amerikanische Präsident hat eine kurzsichtige, wirtschaftlich törichte und politisch gefährliche Entscheidung getroffen. George W. Bush will einen maroden Industriezweig seines Landes durch drastische Zölle künstlich am Leben erhalten. Und Stahlimportländer, darunter Deutschland, für ihre niedrigen Preise bestrafen. Er verteuert einheimische Produkte, für deren Herstellung Stahl verwendet wird. Er provoziert in ohnehin angespannten Zeiten einen Handelsstreit zwischen den USA und dem Rest der Welt. Er schert sich keinen Deut um sein Freihandelsgerede von gestern. Mit einer Dreistigkeit, die kaum zu überbieten ist, hat Bush verkündet: In einem Wahljahr kümmern mich weder Partner noch Prinzipien.

Der transatlantische Graben ist noch breiter, die Liste der Zwistigkeiten länger geworden. Sie reicht vom Klimaprotokoll über den ABM-Vertrag, die Chemie- und Biowaffenkonventionen und den Internationalen Strafgerichtshof bis zu den Drohungen gegen die "Achse des Bösen". Die Gefühlsaufwallungen und Solidaritätsbekundungen nach dem 11. September hatten lediglich überdeckt: In entscheidenden Fragen befinden sich Amerika und Europa auf Kollisionskurs. Das Wort von der Wertegemeinschaft klingt zunehmend wie eine Leerformel. Wenn die USA grundlegende Normen, etwa das Völkerrecht in Form der Vereinten Nationen oder den freien Welthandel, nicht mehr um ihrer selbst willen respektieren, sondern zu beliebig interpretierbaren Werten degradieren, dann ist das Fundament dieser Gemeinschaft bedroht.

Bush hat sich erpressen lassen. Im November wird der Kongress neu gewählt. In drei Schlüsselstaaten - Ohio, Pennsylvania und West-Virginia - verfügt die Stahlindustrie über eine starke Lobby. Die hat dem Präsidenten gedroht: keine Zölle, keine Stimmen. Die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus ist gefährdet. In welchem Maße die Wahlen schon jetzt die Politik dominieren, lässt sich auch an der beschämenden Reaktion der oppositionellen Demokraten ablesen. Sie kritisieren nicht Bushs Zölle, sondern dass sie nicht hoch genug ausfallen. Ein grotesker Wettstreit, welche der beiden Parteien patriotischer und protektionistischer ist.

Die Zeche zahlt der Verbraucher. Zölle machen den in Amerika verfügbaren Stahl teurer - und damit dort produzierte Autos oder Waschmaschinen. Die Regierung Bush war angetreten, durch Steuererleichterungen die Nachfrage anzukurbeln, sie hat sich selbst ein Bein gestellt. Deutschland steht vor einem doppelten Problem: Zum einen wird es für die Stahlindustrie noch schwieriger, auf dem US-Markt zu konkurrieren. Zum anderen könnten asiatische und osteuropäische Produzenten versucht sein, ihre US-Lieferungen künftig nach Europa umzuleiten. Für Europa hieße das: geringere Exporte plus größere Konkurrenz auf dem heimischen Markt.

Die Klage vor der Welthandelsorganisation wird sich über Jahre hinziehen. Die Wut auf einen US-Präsidenten, der sich trotz achtzigprozentiger Zustimmungsraten erpressen ließ, findet kein Ventil. Trost bietet allenfalls der Zynismus. Auch Raketen, Panzer und Kampfjets werden für die US-Regierung teurer. Aber selbst das wird kaum ausreichen, um einen Krieg gegen den Irak zu vermeiden.

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