zum Hauptinhalt
Der neue Chef der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, will 47 ehemalige Stasi-Mitarbeiter, die heute noch in der Behörde arbeiten, versetzen oder entlassen. Das ruft Kritik hervor.

© dapd

Stasi-Debatte: Die Stasiunterlagenbehörde ist eine Erfolgsgeschichte

Egon Bahr hat mit seiner Kritik am Chef der Stasiunterlagenbehörde Roland Jahn für Aufsehen gesorgt. Das Unbegreifliche daran ist aber nicht das Ansinnen von Bahr, sondern die Vorhaltung, die er Jahn macht.

Von Matthias Schlegel

Natürlich sind Jubiläen am ehesten geeignet, an alte Zeiten zu erinnern. Mancher lässt dabei auch noch mal den Kanonendonner längst vergangener Gefechte einspielen. Egon Bahr hat das getan. Auf der Geburtstagsfeier für den langjährigen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe hat der einst prominenteste Ostpolitiker der SPD seinen Unmut bekundet über die Art der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung. Im Zentrum seiner Kritik stand die Stasiunterlagenbehörde. Sie sei an die Stelle von Versöhnung getreten. Im Westen habe sie zu dem falschen Eindruck beigetragen, die Stasi wäre gleichbedeutend oder sogar bestimmend für die Einstellung der gesamten Bevölkerung in der DDR gewesen, schreibt er in seinem Beitrag für die Festschrift zu Ehren Stolpes. Auf der Feier selbst griff er den neuen Behördenchef Roland Jahn wegen dessen Absicht an, 47 ehemalige Stasi-Mitarbeiter, die heute noch dort arbeiten, versetzen oder entlassen zu wollen.

Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass das letzte, frei gewählte DDR-Parlament beschloss, die Stasiakten nicht wegzuschließen oder gar zu vernichten, sondern zur Entlarvung des Repressionsapparates zu nutzen. Nach der Vereinigung legte der Bundestag dafür die Regeln fest. Betroffene lesen, oft unter seelischen Schmerzen, wie die Stasi in ihr Leben eingriff, und holen sich damit ein Stück ihrer Würde zurück. Und die Akten helfen, jene von wichtigen Positionen fernzuhalten, die selbst in das System von Horch und Guck verstrickt waren. Nicht mehr und nicht weniger. Trotz aller Querelen im Detail – daraus wurde eine international hoch gewürdigte Erfolgsgeschichte.

Egon Bahr scheint nicht nur die demokratische Legitimierung dieses Aktes der Selbstvergewisserung eines Volkes entgangen zu sein. Er unterstellt gar der Institution, die diese Aufgabe vermittelt, der Versöhnung im Weg zu stehen. Bevorzugt er also eine Versöhnung nach dem Grundsatz: Uns ist egal, was ihr früher getrieben habt, wir reichen euch die Hand? Das sollte in Deutschland nicht mehr gewollt und nicht mehr möglich sein. Dass das Plädoyer für das Verdrängen auf der Feier für einen Mann gehalten wurde, dessen Rolle im einstigen Machtapparat zumindest umstritten ist, war fatal. Dem Jubilar dürfte solcherlei ungestüme Rückendeckung eher unangenehm gewesen sein, weil sie neuerliche Debatten befördert, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte.

Mit seinem Angriff gegen Behördenchef Roland Jahn weiß sich Bahr hingegen in prominenter sozialdemokratischer Gesellschaft. Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hatte zuvor genauso wie der Beiratsvorsitzende der Stasiunterlagenbehörde, Richard Schröder, den Amtsnachfolger von Marianne Birthler wegen der Absicht gescholten, die 47 ehemaligen Stasi-Mitarbeiter loszuwerden. Berechtigter wird der Vorwurf durch die Wiederholung nicht. Denn mit seiner legitimen und moralisch verständlichen Intention, gerade an diesem sensiblen Ort frühere Opfer nicht mit früheren Tätern zu konfrontieren, will Jahn das Arbeitsrecht nicht etwa ignorieren, sondern nur dessen Möglichkeiten ausschöpfen. Ob das gelingt, ist ungewiss. Seine Vorgänger waren der Meinung, es lohne den Versuch nicht. Dass Jahn es trotzdem angeht, mag mit seiner Biografie zusammenhängen. Unbegreiflich ist nicht dieses Ansinnen, sondern die Vorhaltung, er stehe nicht auf dem Boden des Rechtsstaats. Den hat Jahn schon vor 28 Jahren betreten – in Knebelketten aus der DDR abgeschoben.

Zur Startseite