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Meinung: „Steh auf, nimm das Kind und die Mutter“

Seiner Frau und dem Kleinen verdankt er den eigenen Marktwert und den Karriereknick. Er war ja kein Niemand, ein wohlhabender Zimmermann in Nazareth, mit edlem Stammbaum bis zum König David.

Seiner Frau und dem Kleinen verdankt er den eigenen Marktwert und den Karriereknick. Er war ja kein Niemand, ein wohlhabender Zimmermann in Nazareth, mit edlem Stammbaum bis zum König David. Dann hat er die kleine Miriam geheiratet, trotz ihrer kryptischen Schwangerschaft, und kaum ist der Junge aus dem Gröbsten raus, interessiert sich keiner mehr für seinen Papa, den die Keuschheitspolizei später zum „Nährvater“ deklassieren wird – welch dämlicher Titel. Gestillt hat er nie. Es gab schon keine O-Töne von ihm im Evangelium. Nun verschwindet er ganz aus der biblischen Erzählung. Die Nachwelt munkelt, er sei ein alter Softie gewesen, habe insofern problemlos mit seiner Madonna eine „Josephsehe“ geführt, sei früh gestorben.

Im 10. Jahrhundert beginnt seine zweite, kulturpolitische Karriere: Er soll sich künftig als Patron der Handwerker am 19. März feiern lassen, um das heidnische Minervafest der römischen Handwerkergöttin zu verdrängen. Im Spätmittelalter und im Barock interessiert man sich gar theologisch für seine delikate Rolle beim Inkarnationsabenteuer. 1870 wird er zum Patron der Kirche, 1937 zum Patron der Kämpfer gegen den Kommunismus befördert. 1955 kriegt „Joseph der Arbeiter“ ein Zweitfest am 1. Mai, er muss sich den Ehrentag aber nicht nur mit der Linken teilen, sondern auch mit der als Schutzpatronin Bavarias gepriesenen Maienkönigin. Tja, er versteht es, zurückzutreten, seinen Job backstage zu tun. Ein Comeback als Neuer Mann oder Ehren-Märtyrer der Männerbewegung steht bevor.

Wenn sein heilsgeschichtlicher Auftritt naht, sorgt er hinter den Kulissen dafür, dass an der Krippe und im Stall alles funktioniert. Nebenbei verkehrt der Praktiker mit Engeln. Solch ein Besucher von oben hatte ihm, dem Unbescholtenen, vormals abgeraten, seine wie auch immer geschwängerte Verlobte zu verlassen. Weitere Erscheinungen veranlassen ihn – „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter!“ –, nach Ägypten zu fliehen und schließlich nach Nazareth zurückzukehren. Gute Handwerker werden ja immer gebraucht. Als der zwölfjährige Jesus sich unabgemeldet bei Theologen im Tempel rumtreibt und die Eltern 72 Stunden auf dem Heimweg und im von Pilgern überrannten Jerusalem nach ihm suchen, ist Joseph vor Verzweiflung fast ausgetickt. Damals hat er wohl geahnt, dass dieser Junge nie seine Werkstatt übernehmen wird. Man muss früh anfangen, die Kinder gehen zu lassen.

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