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Meinung: Steigende Temperatur

Von Lorenz Maroldt

Im linken Kessel brodelt es, und zwar gewaltig. Doch ob er nur spritzt und dampft oder bald explodiert, weiß niemand mit Gewissheit zu sagen. Selbst Dutzende Brandanschläge mit direktem Bezug zum G-8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm bringen kein klares Licht in die diffuse Szene der Globalisierungskritiker. Weder sind die friedlichen Gipfelgegner in der Lage, sich erkennbar von der zunehmenden Gewalt zu distanzieren, noch vermögen die Sicherheitsbehörden entsprechend zu differenzieren. So ist die Behauptung, die Großrazzia, bei der die Polizei 40 Räume durchsucht sowie Computer und Papiere mitgenommen hat, kriminalisiere die Gipfelproteste, zugleich richtig und falsch. Richtig, weil nach aller Erfahrung und Wahrscheinlichkeit so mancher bisher friedliche Sympathisant angesichts der als überzogen oder erniedrigend empfundenen Aktion selbst gewalttätig wird. Falsch, weil Brandanschläge bereits durch die Tat an sich kriminell sind und nicht erst durch die Ermittlungen der Polizei werden.

Die Razzien haben die Temperatur nur weiter steigen lassen, heiß war es ohnehin schon nicht allein wegen des Gipfeltreffens. Vor allem in Berlin kommt da in diesen Wochen einiges zusammen: die zu erwartende Räumung eines international bekannten Autonomentreffpunkts, der runde Jahrestag der ersten heftigen Maikrawalle, die öffentliche Rückkehr früherer Terroristen in die Szene, und dazu noch die aufgebrochene Erinnerung an den Herbst 77 sowie die Auseinandersetzung um Grußwort und Gnadengesuch von Christian Klar. Sicherheitsexperten warnen davor, dass frühere RAF-Mitglieder für junge Autonome zum Idol werden, auch das ist in dieser Form neu. So wird der legitime Protest gegen das Treffen in Heiligendamm von zwei Seiten bedroht. Ob die massive Aktion der Polizei vor diesem Hintergrund verhältnismäßig und verantwortbar war, lässt sich ohne eigene Kenntnis der dabei erlangten Erkenntnis kaum beurteilen. Man wird sich allerdings wohl darauf einstellen müssen, dass die noch frische Erinnerung an den friedlichen 1. Mai romantische Vergangenheit ist.

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