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Sterbehilfe: Sterben und sterben lassen

Beim Sterben geholfen: Roger Kusch darf sich nicht beklagen, wenn wieder einmal Empörung auf ihn herunterprasselt. Der frühere Hamburger Innensenator wirkt selbstgefällig und eitel - sein Anliegen ist aber richtig.

Er ist nicht leicht zu ertragen: Roger Kusch, der Selbstgefällige. Wo der frühere Hamburger Justizsenator auch auftritt, stets umgibt ihn eine Wolke aus Eitelkeit und Großmannssucht. So auch diesmal. Er habe einer Frau, die ihres Lebens müde war, beim Sterben geholfen, posaunt er in die Welt. Als wäre die Selbsttötung einer 79-Jährigen ein Thema für Marktschreierei; als verböten sich angesichts eines solchen Todes die lauten Töne nicht von selbst. Deshalb darf sich Roger Kusch jetzt nicht beklagen, wenn Empörung auf ihn herunterprasselt.

Trotzdem ist es eine wohlfeile Empörung. Denn den wenigsten ist klar, was Kusch eigentlich getan hat. Er hat keineswegs aktive Sterbehilfe geleistet, wie jetzt immer wieder behauptet wird. Aktive Sterbehilfe oder, wie es juristisch heißt, Tötung auf Verlangen ist in Deutschland mit guten Gründen verboten, da sie das Tabu der Fremdtötung bricht. Kusch hat vielmehr Beihilfe zur Selbsttötung geleistet, was eine grundsätzliche andere Form der Sterbehilfe ist. Bei ihr – und das ist der fundamentale Unterschied zur Tötung auf Verlangen – bleibt die Tatherrschaft ganz und gar bei der zum Sterben entschlossenen Person.

Die Gefahr des Missbrauchs, die bei Sterbehilfe nie vollkommen ausgeschlossen werden kann, wird beim assistierten Suizid – so der Fachausdruck – stark verringert. Weshalb vor zwei Jahren der Deutsche Juristentag und Teile der Nationalen Ethikkommission für eine Legalisierung dieser Form von Sterbehilfe plädiert haben. Denn bei der jetzigen Rechtslage wird die Person, die bei einem Suizid anwesend ist, also auch Roger Kusch, von Strafe bedroht. Zwar ist die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei, da ja auch der Suizid selbst keinen Straftatbestand darstellt. Aber eine anwesende Person kann wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden. Ein herzloses juristisches Konstrukt: Wenn es zum Äußersten kommt, muss der Sterbewillige allein gelassen werden. Weil das in Deutschland so ist, hat sich der berühmte „Sterbetourismus“ in die Schweiz entwickelt, wo die Rechtslage humaner ist.

Es ist deshalb gut, dass im Fall Kusch jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt. Noch besser wäre es, die Ermittlungen führten dann auch zu einer gerichtlichen Klärung. Damit die evident absurde Rechtswirklichkeit endlich geändert wird.

Eine solche Klärung könnte auch dazu beitragen, dass das nach jedem Fall von Sterbehilfe reflexartig einsetzende Empörungsgetöse ein wenig abschwellen würde. Auch wenn es wohl nichts ausrichten wird gegen die immer wieder aufmarschierenden Sachwalter des Lebensschutzes und der hohen Gesittung: Politiker, Kirchenleute, auch viele Ärzte, die demonstrativ die eigene Moralität feiern und sich in den Strahlen der angemaßten ethischen Überlegenheit sonnen. Die ihre Grundsätze vor sich her tragen, so überlebensgroß, dass sie ihnen nicht selten den Blick verstellen auf die betroffenen Menschen. Auf Kranke, Müde, Leidende, Schmerzgeplagte.

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

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