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Alles nach Plan: der Vertrag der großen Koalition und Unterschriften-Durchführungs-Ornigram (links).

© pa/dpa

Steuerpolitik: Erst denken - und dann nicht handeln

In den Koalitionsverhandlungen haben sich CDU, CSU und SPD beim Thema Steuerpolitik gegenseitig blockiert. Jetzt kommt langsam Bewegung in die Debatte. Nicht unbedingt zum Vorteil der Steuerzahler.

Von Lutz Haverkamp

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble höchst selbst hat den Startschuss gegeben. Ende März ließ er auf einem Forum des Handwerksverbandes einen denkwürdigen Satz verlauten: Das Nachdenken über Steuerentlastungen - in diesem konkreten Fall meinte er die kalte Progression - sei "für die nächsten vier Jahre nicht verboten". Das hat gesessen und blieb nicht ohne Wirkung. In der deutschen Politik gibt es kein Halten mehr. Überall wird jetzt nachgedacht.

Den Rahmen haben die Koalitionäre in ihren Koalitionsvertrag dabei schon vorgegeben, aber vielleicht ist es bei der Redigatur des Textes kurz vor den Weihnachtsferien im vergangenen Jahr auch einfach durchgerutscht. Denn auf Seite 89 stehen zwei spannende Sätze: "Steuerrecht ist kein statisches Recht", ist der erste Satz. Und der zweite lautet: "Wenn gesellschaftliche oder wirtschaftliche Entwicklungen es erfordern, muss das Steuerrecht angemessen fortentwickelt werden, damit es seine Ziele auch künftig erreicht."

Es gibt also kein Erkenntnisproblem. Konkret: Die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland erfordern es genau jetzt, über eine neue Steuerpolitik nachzudenken. Ziel sollte es sein, mehr Gerechtigkeit und Transparenz ins System einziehen zu lassen. Die wirtschaftlichen Entwicklungen erfordern selbiges, denn nie zuvor in der Geschichte der Republik hat ein Finanzminister über derart hohe Steuereinnahmen verfügen können. Der ausgeglichene Staatshaushalt ist eine sichtbare - und äußerst begrüßenswerte - Folge dieser Entwicklung. Nur die Politik, die entwickelt sich nicht. Stillstand. Denkblockaden. Verweigerungshaltungen.

Aktuelles Beispiel 1: die kalte Progression. Dieser Begriff beschreibt heimliche Steuererhöhungen, weil Lohnsteigerungen durch automatisch höhere Steuersätze sofort wieder aufgezehrt werden. Eiskalt daran ist vor allem, dass der Fiskus bis 2018 dadurch rund 28 Milliarden Euro Mehreinnahmen hat.

Aktuelles Beispiel 2: die steuerliche Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen. 1,5 Milliarden Euro lässt sich der Staat diese Subvention jedes Jahr kosten, weil er glaubt, dass zum Beispiel Eigenheimbesitzer mehr Handwerksleistungen legal - also mit Mehrwertsteuer - nachfragen und so die Konjunktur beleben. Klappt aber nicht, so ein neues, umfängliches Gutachten. 90 Prozent der Leistungen würden eh legal abgerufen, vieles müsste sowieso - wie Wartungsarbeiten an Heizungen oder Elektroinstallation - ausgeführt werden, beschieden die Experten. Ziel verfehlt.

Dennoch: Bei beiden Punkten wird sich so schnell nichts ändern. Um die Einnahmeausfälle bei der Abschaffung der kalten Progression aufzufangen, müssten Einnahmen andernorts erhöht werden. Aber über einen erhöhten Spitzensteuersatz oder eine erhöhte Steuerlast auf die in Deutschland relativ niedrig besteuerten Vermögen ist in der großen Koalition offenbar nicht einmal ein Gespräch möglich. So wird der deutsche Normalverdiener seine Lohnerhöhungen auch in Zukunft für den Staatshaushalt hergeben müssen. Und weil die Abschaffung einer der zahlreichen Steuersubventionen - hier die steuerliche Berücksichtigung haushaltsnaher Dienstleistungen - einer Steuererhöhung gleichkommt, ist das Ergebnis das gleiche: kein Handlungsbedarf.

Der Bundesfinanzminister hat also das Denken erlaubt. Es ist Grundvoraussetzung für kluges Handeln. Dass gehandelt wird, hat Wolfgang Schäuble allerdings nicht in Aussicht gestellt. Mutige Politik sieht anders aus.

Vielleicht erinnern sich die Koalitionäre aber auch an einen weiteren Satz aus ihrem Koalitionsvertrag. Auf Seite 89 steht nämlich im Kapitel zur Steuerpolitik noch ein dritter Satz: "Deutschland hat derzeit insgesamt ein zeitgemäßes und wettbewerbsfähiges Steuerrecht." Den Satz sehen die Politiker von CDU, CSU und SPD offenbar eher als Handlungsempfehlung. Und tun gar nichts.

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