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Seltenes Bild der Einigkeit: Philipp Rösler, Angela Merkel, Horst Seehofer.

© dpa

Steuersenkung und Betreuungsgeld: Schwarz-gelbe Koalition kümmert sich nicht ums Wesentliche

Mit sechs oder sieben Euro mehr in der Tasche ist niemandem geholfen. Was Europa in der Krise braucht, ist eine handlungsfähige Regierung in Berlin und nicht eine, die mit kleinteiligen Beschlüssen ihre Eitelkeiten bedient.

Von Antje Sirleschtov

Genau zwei Jahre und 13 Tage ist es her, dass die Spitzen von Union und FDP ihre Unterschriften unter den schwarz-gelben Koalitionsvertrag setzten. Seither, das wird niemand bestreiten, säumen Misstrauen, Missgunst und Fehler ihren Weg. Und über allem schwebt dauernd der Verdacht, dass diese Koalition, solange sie regiert, hinter den Erfordernissen der Zeit ebenso zurückbleibt wie hinter ihren eigenen Ansprüchen. Da draußen laufen die Finanzmärkte Amok, Europa droht im Schuldenchaos zu versinken. Beinahe möchte man meinen, dass es weder gemeinsame Überzeugungen noch ein großes Reformwerk sind, sondern dass es vielmehr allein der gewaltige Druck von außen ist, der CDU, CSU und FDP überhaupt noch zusammenhält.

Und so will diesem Bündnis der Kleinheit auch jetzt wieder nicht gelingen, was für jeden, der nach Berlin blickt, doch so naheliegend erscheint: Die Hierarchie der politischen Aufgaben zu erkennen und sie abzuarbeiten. Worüber sonst hätten die Kanzlerin, der Vizekanzler und der CSU-Vorsitzende an einem solchen Wochenende zu sprechen gehabt als über die Frage, was nötig ist, damit der (wohl letzte) noch intakte Wirtschaftsdampfer Europas auf Kurs bleibt und darüber, wie sichergestellt wird, dass auf der politischen Brücke von Berlin der Kurs für die Zukunft des Kontinents bestimmt werden kann.

Denn wie soll es weitergehen, wenn die FDP-Mitglieder nächsten Monat die europapolitische Reißleine ziehen oder gar in Bayern zum nationalen Halali geblasen wird? Darauf Antworten zu finden, die die Menschen zu Hause überzeugen und den europäischen Nachbarn das Gefühl vermitteln, in Berlin regiere eine Koalition, die ihre Aufgaben kennt, das wäre ein Zeichen der Verantwortung gewesen.

Stattdessen einigen sich Union und FDP nach wochenlangem Gezänk auf ein Paket, dessen Inhalte beinahe nebensächlich sind, weil das Ganze einzig und allein dem Ziel dient, endlich Ruhe zu schaffen im schwarz-gelben Tollhaus der Eitelkeiten. Horst Seehofers CSU bekommt ein Betreuungsgeld, damit ihr Chef aus der Schmollecke herauskommt. Philipp Rösler etwas, was – wenn es überhaupt den Bundesrat passiert – nach Steuersenkung aussieht und dem FDP-Chef als Beleg dienen soll, dass er liefern kann. Und ganz nebenbei verklärt Angela Merkel das grundgesetzlich verbriefte Recht der Arbeitnehmer auf steuerliche Freistellung des Existenzminimums zum schwarz-gelben Dankeschön an die Bürger fürs Stillhalten in der europäischen Dauerkrise.

Doch was Europa nicht braucht und was auch die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen nicht benötigen, das sind sechs oder sieben Euro im Monat mehr in der Tasche. Das gilt, obwohl die Steuereinnahmen noch sprudeln und es natürlich stimmt, dass der Staat sich wegen der Progression der Einkommenssteuer und der Inflation jedes Jahr heimlich ein Stückchen vom Nettolohn der Arbeitnehmer stiehlt. Doch wenn es richtig ist, dass Europa nur durch konsequenten Abbau von Staatsschulden gesunden kann, dann müssen diese Gerechtigkeitsargumente eben hintanstehen. Zumal sich die Zahl der Montagsdemonstranten für einen Abbau der „kalten Progression“ bisher in Grenzen hielt. Was übrigens genauso für die Bezahlung von Müttern oder Vätern gilt, die ihr Kind nicht in die Kinderkrippe bringen wollen.

Die Menschen bangen in diesen Zeiten um ihr Erspartes, um ihre Altersversorgung, um den Euro an sich – und nicht um ein paar Heller mehr netto in der Tasche.

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