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Steuersystem: Kinderlose beuten die Familien aus

Selbst Familien mit Durchschnittseinkommen fallen bei mehr als einem Kind unter das steuerliche Existenzminimum. Für Eltern ist Deutschland brutal, sagt Jürgen Borchert.

Trotz der erfreulicherweise steigenden Geburtenrate sind einschließlich der Eltern erwachsener Kinder über 70 Prozent der Haushalte in Deutschland kinderlos. Bei den lebenslang Kinderlosen halten wir mit rund 30 Prozent den Weltrekord; im Bundestag liegt der Anteil bei rund 40 und bei den Medienschaffenden sogar bei 50 Prozent.

Sie alle glauben der Familienministerin nur zu gern, zusammen mit Vater Staat würden sie den Familien in Deutschland mit 184 Milliarden Euro jährlich unter die Arme greifen, diese das viele Geld aber nur verplempern, weshalb es besser in Krippen flösse, damit die Mütter sich selbst verwirklichen, Geld verdienen und ihre Kinder unterhalten können, womit Geburtenkrise und Familienverarmung besiegt würden. Dies wird als „moderne“ Familienpolitik und „Paradigmenwechsel“ bezeichnet.

Tatsächlich ist es eine Operation ohne Diagnose: Erstens ist unsere Müttererwerbsquote höher als die der geburtenstarken Franzosen und findet sich im Mittelfeld Europas.

Zweitens ist das „184-Milliarden-Paket“ eine Mogelpackung. Zieht man ab, was auch Kinderlose kriegen (Hinterbliebenenversorgung, Grundsicherungsleistungen, Bildung und Freibeträge), bleiben für Kinder kaum 30 Milliarden Euro. Der 7. Familienbericht (2006) verrät, dass wir beim Familienlastenausgleich sogar Schlusslicht in Europa sind. Denn mit nur 1,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegen unsere Ausgaben für Kinder weit unter dem Durchschnitt (= 2,1 Prozent), obwohl wir Spitzenreiter bei der Kinderlosigkeit sind. Diese definiert aber den Ausgleichbedarf, weil die aus den fehlenden Unterhaltsverpflichtungen resultierenden Einkommensvorsprünge der Kinderlosen den Familien das Leben schwer machen, vor allem auf dem Wohnungsmarkt. Dänemark und Frankreich sind mit 3,8 und 2,8 Prozent/BIP weit spendabler, obwohl die Anteile lebenslang Kinderloser dort nur 17 und zehn Prozent ausmachen.

Drittens kommt hinzu, dass kein anderes Land ein für Familien (und Niedrigverdiener!) so brutales Abgabensystem hat wie Deutschland, wo sich Sozialbeiträge und Verbrauchssteuern auf nahezu 75 Prozent der staatlichen Gesamteinnahmen addieren (zum Vergleich Dänemark: 38 Prozent). Beide Abgabearten wirken „regressiv“, die Belastungsquote wird also umso höher, je niedriger die Einkommen pro Kopf sind. Bei gleichen Bruttoeinkommen werden Familien deshalb um ein Vielfaches härter belastet als Kinderlose. Selbst bei der Lohnsteuer werden Familien weit jenseits ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen, weil die vom Staat im Familienrecht statuierten Unterhaltsverpflichtungen von demselben Staat beim Steuertarif nur in Höhe des Existenzminimums der Kinder (5808 Euro) berücksichtigt werden. Im Durchschnitt zahlen Eltern aber rund 7000 Euro je Kind und Jahr. Die Abgabengerechtigkeit steht Kopf.

Diese Schieflage der öffentlichen Lasten ist die Hauptursache des Elends, denn selbst Arbeitnehmerfamilien mit Durchschnittseinkommen (rund 2500 Euro brutto/ Monat) geraten bei mehr als einem Kind netto unweigerlich unter das steuerliche Existenzminimum. Fast die Hälfte aller Kinder wächst deshalb in Armut oder Armutsnähe auf, Alkoholismus und Gewaltexzesse nicht selten inklusive. Die Folgen sind verheerend, denn von bildungsfähigen Kindern hängt alles ab– nicht zuletzt die Wirtschaftsproduktivität!

Familienpolitik sollte deshalb auf die verlogene Spendierhosenpose verzichten. Eine Umschichtung der Lasten nach dem verfassungsrechtlichen Maßstab der Leistungsfähigkeit reicht aus. Öffentliche Kinderbetreuung ist wichtig, zuerst müssen aber Durchschnittsfamilien ihre Kinder wieder aus dem eigenen Einkommen großziehen können. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, beinhaltet aber die Korrektur familienpolitischer Versäumnisse, die vor 40 Jahren begannen und mit dem „Paradigmenwechsel“ nur ihre fatale Fortsetzung fänden.

Der Autor ist Sozialrichter

in Darmstadt.

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