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Versteht die Bürokratie ihre eigene Sprache?

© Kitty Kleist-Heinrich

Streit um Brief der Bildungsverwaltung: Behördensprache ist Macht

Die Berliner Verwaltung unterfüttert ihren Machtanspruch mit einer Sprache, die sonst keiner spricht. Das zeigt auch der missratene Brief aus der Bildungsverwaltung. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Als der Mann vom Land um Eintritt in das Gesetz bittet, sagt der Türsteher, dass er ihm den Eintritt nicht gewähren könne. Ob er später eintreten dürfe, fragt der Mann. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“ Am Ende stirbt der Mann vom Land vor dem Tor. Offenbar liest die Berliner Verwaltung gerne Kafka. Die Verknappung der Termine bei den Bürgerämtern hat jedenfalls einen ähnlichen Effekt: Wer vor seinem Ableben noch drankommt, ist handzahm.

"Es sind einfache Sätze zu bilden"

Diese Art der Terminvergabe ist Ausdruck eines Machtanspruchs der Verwaltung. Sie will keine Dienstleistungsbehörde sein: Der nächste Termin ist in zwei Monaten. Unterfüttert wird dieser Machtanspruch durch eine Sprache, die sonst keiner spricht. Die Fehler, die in einem von der Berliner Bildungsverwaltung an die Eltern von Vorschulkindern verschickten Brief steckten, sind inzwischen korrigiert. Doch auch ohne Fehler ist der Brief nicht leicht zu verstehen.

Die Berliner Verwaltung ist zwar laut der Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) angehalten, „auf eine leicht verständliche Darstellung in gutem Stil und höflicher Form … Wert zu legen. Es sind einfache Sätze zu bilden und geläufige Wörter zu verwenden.“ Doch auf das Amtsdeutsch zu verzichten, hieße aus Sicht der Verwaltung, ein Machtinstrument aus der Hand zu geben. Die Sprache der Anträge und Umschreibungen soll vielmehr eine Hürde darstellen, die nur nehmen soll, wer sich ernsthaft mit seinem Anliegen auseinandersetzt. Zugleich soll die Sprache der Behörden, in der eine Diskothek ein Lautraum ist und ein Stammbuch eine Lebensberechtigungsbescheinigung, die Expertise derjenigen unterstreichen, die sie beherrschen.

Auch der Arzt will nicht, dass der Patient alles versteht. Über den „Gomer“, den hoffnungslosen Fall, kann man sprechen, obwohl er dabeisitzt. „Billig“ ist für den Juristen etwas anderes als für den Laien, und wenn sich zwei Start-up-Unternehmer unterhalten, braucht man ein Englisch-Wörterbuch. Experten haben eine eigene Sprache, sie sind Experten, weil sie eine andere Sprache beherrschen. Sprache ist Macht, weil sie ausschließen kann.

Die Reaktion auf den missglückten Brief der Bildungsverwaltung macht jedoch den gestiegenen Legitimationsdruck deutlich, dem die Verwaltung ausgesetzt ist. In Zeiten, in denen vermeintlich allein die Bildung über die Zukunft der Kinder entscheidet und die deshalb immer mehr Stunden in der Schule verbringen, richtet sich der Blick natürlich schärfer auf die, die für dieses Bildungsprogramm verantwortlich sind. Es gehe darum, den Eltern „ein komplexes Verfahren zur Feststellung des individuellen, kindlichen Sprachstands zu erläutern“, sagt die Sprecherin der Bildungssenatorin. Der Eindruck, der dagegen bei den Eltern geweckt wird, ist, dass dieses komplexe Verfahren schlicht zu komplex ist. Sie werden misstrauisch wie ein Patient, dem der Arzt die Operation nicht erklären kann.

Die bürokratische Herrschaft, sagt Max Weber, ist durch ihre rationale Kompetenz legitimiert. Dazu gehört, dass die Bürokratie ihre eigene Sprache versteht. Der Brief aus der Bildungsverwaltung ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass die sich in dieser Sprache so hilflos bewegt wie alle anderen auch. Das wäre dann ein Ende ihrer Macht.

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