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Meinung: Streit um Fischer: Brauchen die Grünen Fischer noch?

Nichts, was Gott, der Herr, geschaffen hat, gibt es einfach so." Das ist ein erstaunlicher Satz für einen, der immer behauptet, er sei nicht gläubig und der bei seinem Amtseid auf die religiöse Formel verzichtet hat.

Nichts, was Gott, der Herr, geschaffen hat, gibt es einfach so." Das ist ein erstaunlicher Satz für einen, der immer behauptet, er sei nicht gläubig und der bei seinem Amtseid auf die religiöse Formel verzichtet hat. Joschka Fischer hat das allerdings nicht bei dem Empfang gesagt, den er gestern für die neuen deutschen Kardinäle in Rom gab, sondern in einem "FAZ"-Interview über die Gentechnik. Jedenfalls denkt der deutsche Außenminister in diesen Tagen offenbar mehr als sonst über letzte Fragen nach.

Und das nicht nur wegen seiner oft verunglückten Abwehrstrategie in der Schlacht um seine Vergangenheit. Unterschwellig ist in den letzten Wochen noch ein anderer Gedanke entstanden, manche würden es gar eine Vision nennen: Joschka Fischer wäre für die Grünen und die Regierung mittlerweile verzichtbar. Weil er ohnehin nicht für die urgrünen Themen stehe, die jetzt via BSE und Gentechnik wieder gefragt seien. Weil er keine grüne Außenpolitik betreibe - man habe es bei Fischers Demutsgeste gegenüber den Irak-Angriffen der USA wieder gesehen. Weil mit Fritz Kuhn und der glänzend gestarteten Verbraucherministerin Renate Künast jetzt auch andere Spitzenleute als Ersatz da wären. Weil, alles in allem, die Grünen mittlerweile eine ganz normale Partei geworden sind, die auf Fischers charismatischen Überschuss verzichten können.

Ein verführerischer Gedanke, auch für die Grünen. Denn er rückt den mutmaßlichen GAU eines Fischer-Rücktritts in die Perspektive der Emanzipation vom großen Zampano. Zusätzlich verspricht die Hypothese, dass es auch nach seinem Rücktritt eine rot-grüne Koalition geben könnte. Apart, aber auch eine von diesen Halluzinationen, die bei der Fischer-Debatte blühen. Ähnlich der Vorstellung, dass demnächst ausländische Kräfte den Außenminister mit Fotos aus seiner Vergangenheit erpressen könnten.

Zunächst einmal muss man den Gedanken der Fischerlosigkeit präzisieren: Es geht derzeit nicht darum, ob die Grünen irgendwann ohne ihren besten Mann auskommen können, sondern nur darum, ob sie es verkraften würden, wenn er jetzt vom Hof gejagt würde. Das darf man bezweifeln. Was sollte beispielsweise dafür sprechen, dass Jürgen Trittin sich dann noch halten kann? Wahrscheinlicher ist, dass die Regierung wie ein Kartenhaus zusammenfallen würde. Ein zweiter Außenminister befindet sich unter den Grünen ohnehin nicht.

Und die Grünen? Brauchen sie ihn noch? Nun, er ist in der Bevölkerung äußerst populär, nach wie vor. Während die Grünen als Partei seit Jahren bei keiner Wahl dazugewonnen haben und an der Fünf-Prozent-Hürde herumkrauchen. Und das, obwohl sie zuletzt ihre Regierungsperformance, wie sie es nennen, enorm verbessern konnten. Bessere Politik führt bis jetzt nicht zu mehr Zustimmung. Das liegt daran, dass Grünen-Wähler notorisch mehr erwarten als nur professionelle Politik, irgendeinen Kick, etwas Visionäres, wie es sich in Fischers Auftreten, in seiner Biografie findet - und zurzeit wohl nirgends sonst bei den Grünen.

Doch selbst wenn es die überschießenden Erwartungen nicht gäbe, wenn also nicht nur die Partei ganz und gar normal geworden wäre, sondern auch ihre Wähler, würde das die Prognose für die Nach-Fischer-Zeit kaum verbessern. Es würde den Grünen nach dessen Abgang eben genauso normal gehen wie der SPD nach dem Rücktritt von Helmut Schmidt und der CDU nach dem Abschied von Kohl und Schäuble. Nur schlimmer. Denn von fünf Prozent gibt es nichts abzuschmelzen. Am Ende wird man wieder Fischers Einsatz brauchen. Es wäre mehr als kühn, Kuhn und Künast eine ähnliche Breiten- und Tiefenwirkung schon zuzutrauen.

Und das Urgrüne, das Biologische, das Fischer so schwer fällt? Das fällt fast allen anderen Grünen genauso schwer. Noch gibt es die Neudiskussion der Ökologie bei den Grünen kaum. Noch können sie Personen nicht durch Programm kompensieren.

Die Grünen müssen also Fischer auf jeden Fall halten. Aber: Wenn neue Fakten auftauchen, wird sich die Öffentlichkeit gegen ihn kehren, weil es die politische Moral erfordert. Kann sein, dass es sein muss. Aber das ist dann nur um den Preis dieser kleinen Tragödie zu haben, dass die Grünen daran wahrscheinlich zerbrechen. Das wäre immerhin schade. Aber, wie sagt Fischer doch so schön: Nichts, was Gott, der Herr, geschehen lässt, geschieht einfach so.

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