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Streit um Raketenschild: Das Imperium schlägt daneben

Schon zweimal haben die Amerikaner versucht, ein Raketenabwehrschirm auf die Beine zu stellen. Nun startet Barack Obama die dritte Episode des "Kriegs der Sterne". Doch das Unterfangen bleibt sinnlos und gefährlich.

Geschichten ohne Ende entstammen meistens dem Reich der Fantasie. Weil Tote wiederauferstehen und die Naturgesetze überwunden werden, lassen sich die Sagen der Antike, die Zaubermärchen von Harry Potter und von „Krieg der Sterne“ in immer neuen Episoden wunderbar weiterspinnen. Der Eklat bei der Münchner Sicherheitskonferenz war Höhepunkt der dritten Episode des Science- Fiction-Abenteuers. Die Befehlszentrale des neuesten Raketenabwehrschildes der Nato kommt in die Pfalz. Bis 2020 sollen alle Systeme startbereit sein.

Die erste Folge hieß „SDI“ (Strategic Defence Initiative) und wurde 1983 von Präsident Ronald Reagan initiiert. Nach dem Ende des Kaltes Krieges verschwand SDI, weil es als zu teuer und zu utopisch angesehen wurde. Unter George W. Bush dann die zweite Folge: Unter dem Titel „National Missile Defense“ (NMD) sollten in Polen massive Abwehrraketen installiert werden, um Nuklearangriffen aus dem Osten entgegenzutreten. Die 20 Tonnen schweren Flugkörper waren jedoch auch geeignet, nukleare Sprengköpfe zu transportieren. Russland fühlte sich, kaum überraschend, von dem Schauspiel düpiert.

Im September 2009 setzte der neue US-Präsident Barack Obama das Raketenspektakel wieder ab, weil die technischen Probleme unüberwindbar und die Kosten zu hoch seien. Russland freute sich und unterschrieb im April 2010 „New Start“, den lange ersehnten Nachfolger der nuklearen Abrüstungsabkommen Start I und II.

Zugleich kündigte Obama allerdings ein neues Raketenprogramm an, das sich derzeit als nicht weniger utopische Episode im Krieg der Sterne entpuppt. Unter dem Titel „Phased Adaptive Approach“ (PAA) soll schrittweise und unter Anpassung an die technische Entwicklung der potenziellen Angreifer ein Abwehrschild aus über 500 „Standardflugkörpern“ aufgebaut werden. Bis 2018 sollen zwei Landbasen in Europa und 43 seegestützte Systeme sicherstellen, dass insbesondere Mittelstreckenraketen aus dem Iran abgefangen werden können.

Die technischen Probleme sind allerdings auch in der dritten Auflage des Raketenabwehrprogrammes ungelöst. Beispielsweise gibt es kein Gegenmittel, wenn ein Angreifer seinen nuklearen Flugkörper zusammen mit einem Schwarm von Attrappen auf den Weg schickt: Im Gegensatz zu den Riesenraketen der SDI- und NMD-Programme trägt die neue „Standard Missile 3“ (SM-3) keine Sprengköpfe, sondern soll feindliche Atomraketen durch direkte Kollision zerstören. Für dieses „hit-to-kill“ muss die SM-3 den echten Flugkörper von Attrappen unterscheiden können. Die dafür vorgesehenen Radar- und Infrarotdetektoren sind durch entsprechend reflektierende Täuschkörper leicht zu überlisten. In der Atmosphäre könnten die leichteren Dummys trotzdem an ihrer Flugbahn erkannt werden. Die Kollision findet jedoch in der mittleren Flugphase des Zielobjekts statt, also oberhalb der Atmosphäre. Dort ist die Flugbahn unabhängig von der Masse.

Davon abgesehen sind die derzeitigen SM-3 Raketen vom Typ „Block I“ noch zu langsam, um ballistische Mittelstreckenraketen in dem kurzen Zeitfenster zwischen der Identifizierung des Abschusses und dem Einschlag überhaupt zu erreichen. Für einen Treffer muss der feindliche Flugkörper deshalb nahe an der Startrampe der SM-3 vorbeifliegen. Gemäß einer Studie der Federation of American Scientists vom September war bislang noch kein einziger Abfangtest unter Praxisbedingungen erfolgreich. Geplant sind deshalb Weiterentwicklungen der SM-3 („Block II“ und „Block III“) mit höherer Endgeschwindigkeit und größerer Reichweite der Zielerfassungssysteme. Wie sie funktionieren werden, ist vollkommen offen.

Ein Raketenschild wäre jedoch nur dann sinnvoll, wenn er nahezu hundertprozentigen Schutz bietet – wenn eine einzige Atomrakete durchkommt, kann das bereits hunderttausende Tote bedeuten. Der sinnlose Raketenschild ist politisch gefährlich. Weil die für 2018 geplanten SM-3 vom Typ Block III auch Interkontinentalraketen abschießen könnten, sind Russland und China vehement gegen das Programm und haben angekündigt, ihr Atomarsenal mit entsprechender Gegenwehr auszurüsten. Der Eklat bei der Sicherheitskonferenz war absehbar. Möglicherweise gehörte auch das Doppelveto gegen den Syrien-Beschluss im UN-Sicherheitsrat zum Preis, den die Nato für die vermeintliche Sicherheit bezahlen muss.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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