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Zumindest Katars Fußballfans freuen sich auf die WM.

© Imago

Streit um WM 2022 in Katar: Wie eine kleine Halbinsel die Fußballwelt aus den Angeln hebt

Gewisse Traditionen sollte man nicht antasten: Tatort am Sonntag, WM im Sommer. Doch warum macht die Fifa es dennoch? - Weil sie muss. Denn längst finanziert der Nahe Osten den Großteil des europäischen Spitzenfußballs.

Von Christian Hönicke

WM zu Weihnachten, Halbfinale mit Glühwein, Finale mit Zimtsternen? Das rückt immer näher. Jerome Valcke, der Generalsekretär das Fußball-Weltverbands Fifa, hat sich verplappert. Die umstrittene Weltmeisterschaft 2022 soll wegen der unerträglichen Sommerhitze in Katar im Winter stattfinden, zwischen November und Januar. Auch wenn Valcke von den anderen Herrschern über den Ball schnell wieder zurückgepfiffen und auf die endgültige Entscheidung Ende des Jahres verwiesen wurde: Es wird wohl so kommen.

Katar, die kleine Halbinsel im Persischen Golf, hebt die Fußballwelt aus den Angeln. Hier geht es nicht nur um ein Turnier, das vom (europäischen) Sommer in den Winter geschoben wird. Weltweit müssen Spielpläne dem neuen Rhythmus angepasst werden, in Europa wäre die Sommerpause passé. Die Fans müssten sich auf neue Feierrituale einstellen: Saalpolonäse statt Partymeile am Brandenburger Tor. Medienprofis wissen: Gelernte Verhaltensweisen sollte man nicht antasten. Tatort ist Sonntagabend, WM ist im Sommer. Warum tastet die Fifa ihre Erfolgsformel an? Antwort: Weil sie es muss.

Ein Konflikt zwischen Verwertungsinteressen und Brauchtum

Mit dem Votum für Katar hat die Fifa ungewollt den Interessenkonflikt freigelegt, unter dem der Fußball immer mehr leidet. Es ist der Konflikt zwischen den Verwertungsinteressen der Profis und dem Volkssport als Brauchtum. Dazu gehören immer mehr Livespiele zu immer seltsameren Anstoßzeiten. Die bringen zwar immer mehr Geld ein, die Amateurklubs aber auch immer mehr unter Druck. Dazu gehört auch die Tatsache, dass Europas Profifußball schwächelt. Er mag sich via Champions League in Szene setzen, doch die Zahlen sehen anders aus. Die großen Ligen sind hoch verschuldet. Lange haben sich Provinzfürsten aus der Politik den einen oder anderen Euro aus der Tasche leiern lassen, doch inzwischen geht die EU gegen die versteckte Subventionierung durch die öffentliche Hand vor.

Deshalb sucht das dekadente System nach anderen Erlösquellen, anstatt sich gesundzuschrumpfen. Und wird meist in rohstoffreichen Ländern des Nahen Ostens fündig. Die finanzieren längst einen guten Teil des europäischen Spitzenfußballs. Ob Paris St. Germain, FC Barcelona oder Manchester City – die Scheichs entscheiden, welche Klubs die Trophäen abräumen. Ihr Einfluss reicht bis zum UEFA-Chef Michel Platini.

Die WM in der Wüste ist die logische Folge der Wendung hin zum Morgenland. Wer die Stars zahlt, bestimmt, wo gespielt wird. Grundsätzlich kann man die Europa-Zentrierung des Fußballs ja auch in Frage stellen und sich der Erschließung neuer Märkte widmen, aber doch nicht so. Denn das Volk, das dem Gekicke mit seiner Begeisterung überhaupt erst Relevanz verleiht, haben die Eliten des Berufsfußballs bei der Entscheidung für Katar nicht bedacht. Beziehungsweise nur in einer Funktion: als Konsument.

WM ist, wenn der Ball rollt, ob im Sommer oder im Winter

Die Zuschauer werden es wohl mitmachen. WM ist, wenn der Ball rollt, ob im Sommer oder im Winter. Aber was ist mit dem Spiel an sich? Milliarden Freizeitkicker wurden nicht gefragt, sie werden einfach mitgezerrt. Sollen berufstätige Eltern künftig in den Sommerferien den Kreisligabetrieb am Laufen halten, anstatt in den Urlaub zu fahren? Erst jetzt dämmert dem aufgescheuchten Fußballadel, dass er die Rechnung ohne den Pöbel gemacht hat. Dass die WM zwar seine einträglichste Veranstaltung ist, sie aber nicht ohne Weiteres vom Rest des Fußballuniversums abgekoppelt werden kann. Die teils widersprüchlichen Bulletins ranghoher Fifa-Mitarbeiter verraten, dass die Gier offenbar größer als der Verstand war und sie sich über die Folgen ihres Handelns vorher keine Gedanken gemacht haben.

Das rächt sich nun, denn das Dilemma ist da. Was ist wichtiger: die zusehends unverzichtbaren Geldgeber aus Nahost? Die Gesundheit der hoch bezahlten Stars, die der Fifa den Cash bringen? Oder die Rituale der Milliardenmasse, die das Geld bereitwillig gibt? Die Sache zeigt, dass der ganze Sport in Schieflage gerät, wenn er atemlos dem Geld hinterhersprintet.

Das Motto der Fifa lautet: For the Good of the Game. Zum Wohle des Spiels. Zeit, danach zu handeln.

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