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Stein des Anstoßes: die Internetplattform "isharegossip.com".

© dpa

Streitthema Online-Netzwerke: "Wir brauchen das nicht!"

Während der Berliner Datenschutzbeauftragte Dix Front gegen das Web 2.0 macht, helfen sich die Jugendlichen bei "isharegossip" selbst. Dabei wird deutlich: Wenn jemand die von Dix geforderte Unterrichtung in Medienkompetenz braucht, dann ist er es selbst.

Es ist wunderschön, was Berliner Schüler derzeit „isharegossip.com“ antun: Mit einer gezielten Kommentarflut bringen sie die Lästerposts auf der Startseite zum Verschwinden. Häufigste Wortmeldung dabei ist ein Satz von bestechender Schlichtheit und Ehrlichkeit, den Schüler der "Schule an der Dahme" in Köpenick in den vergangenen Tagen hier massenhaft hinterließen: „Wir brauchen das nicht.“

Wenn es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, dass Nutzer einem Medium nicht machtlos gegenüber stehen, dann ist es dieser Satz. Er drückt aus, wie wenig die jugendliche Zielgruppe auf die Schützenhilfe von Datenschutzbeauftragten oder ähnlichen Besorgten angewiesen ist. Die Netzwelt hat der vermeintlich verführbarsten gesellschaftlichen Gruppe ein Medium an die Hand gegeben, das die Rohheit und Rücksichtslosigkeit der Menschen (die im übrigen auch nicht erst das Internet erfunden hat) konzentriert und bündelt, und ein entscheidender Teil dieser Gruppe lehnt – einmal sensibilisiert – die Offerte mit Wucht und Überzeugung ab.

Angesichts dieser machtvollen Selbsthilfe wirken die Verrenkungen des Berliner Datenschutzbeauftragten umso absurder. Weder braucht es – außer vielleicht bei Alexander Dix selbst – eine Unterrichtung in Medienkompetenz, noch die Verteufelung der Social Media im Allgemeinen.  Dass Dix bei der Vorstellung seines Datenschutzberichtes auch gleich eindringlich vor "Facebook" warnte, weil dies mit personenbezogenen Daten nicht vertrauenswürdig umgehe, zeigt die völlige Verkennung der Mechanismen der Interaktionsgemeinde Web 2.0 durch jene, die ihr nicht angehören.

Wäre Dix, was er ignoranterweise nicht ist, bei "Facebook" angemeldet, er hätte vielleicht gemerkt, dass es hier durch alle Usergruppen und Altersschichten längst nicht mehr um die lückenlose Selbstoffenbarung geht. Für diesen folgenschweren Nutzungsfehler ist das von Dix öffentlich favorisierte "Studivz" mit seinen starren Profilseiten viel anfälliger. Spätestens seit dem 2008 gelaunchten Newsfeed auf der Startseite ist "Facebook" primär ein Kommunikationsmedium, das die Nutzer in ihre einzelnen Wortmeldungen zerlegt, diese mit anderen vermischt und dabei anstelle der vermeintlichen Entblößung des gläsernen Netznutzers eine ganz andere Größe ins Zentrum stellt: die Nicht-Identität des einzelnen mit sich selbst.

Die Schüler, die sich nun gegen „isharegossip.com“, nicht aber gegen Facebook wehren, haben das schon längst internalisiert – wenn es wohl auch die wenigsten so ausdrücken würden. Dass sie nicht von anderen durchschaubar gemacht werden wollen, zeigt ihre Sensibilität für die Preisgabe von Daten. Grenzenlos naive Selbstoffenbarer, die sich der Risiken unbewusst ins Unglück der totalen Preisgabe stürzen, dürften gerade in der Generation, die mit dem Web 2.0 aufwächst, besonders selten sein. Das Bewusstsein dafür, dass man in den Netzwerken nicht als selbstidentisches Subjekt, sondern als Autor seiner (Netz-)Lebenserzählung fungiert, ist hier intuitiv vorhanden.

Dass Dix als Datenschutzbeauftragter solche Überlegungen über einen sich im veränderten medialen Umfeld verändernden Identitätsbegriff nicht einpreist, markiert den Gipfel von Medieninkompetenz und ist ein Skandal, der den um die menschenverachtende Lästerseite noch verschärft. Dass er ausgerechnet denen, die schon längst begriffen haben, auf welch unruhiger See sie sich im Netz befinden, per Schulfach „Medienkompetenz“ beibringen lassen will, ist eine fatale Fehleinschätzung der Problemlage. Sollte es so weit kommen, wäre es schön, wenn die Schüler mit einer Mailflut an Dix reagieren würden. Inhalt der Nachricht: „Wir brauchen das nicht.“

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