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Meinung: Stromausfall nach Hausmacherart

Blackouts wie in Italien könnten bald von Viren ausgelöst werden

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die Schwachstelle war perfekt ausgewählt. Eine scheinbar unwichtige Stromleitung im Kanton Schwyz, die sich aus dem Tal hinauf in den Skiort Lavorgo am Sankt Gotthard windet. Schuld waren jedoch keine Terroristen, sondern ein unschuldiger Baum: Er kam am frühen Sonntagmorgen einem 380Kilovolt-Kabel zu nahe, woraufhin ihm ein gewaltiger Lichtbogen die Zweige verkohlte. Dann lief alles wie im Katastrophenfilm: Um 3 Uhr 01 schaltete die automatische Sicherung die zugehörige Stromleitung über den Lukmanierpass ab, die unter anderem Energie nach Italien liefert. Daraufhin begann das italienische Stromnetz den fehlenden Saft aus einer dafür nicht ausgelegten Leitung im graubündnerischen Misox zu saugen, die eine halbe Stunde später wegen Überlastung automatisch abschaltete. Unter dem jetzt noch größeren Stromhunger des Mittelmeerstaates brachen sofort zwei Leitungen aus Frankreich zusammen, danach verweigerten kaskadenartig alle Stromstrippen nach Italien wegen Überlastung den Dienst.

Die Hauptschuld am Fiasko trägt, nach gegenwärtigem Kenntnisstand, ein falsch programmiertes Elektronengehirn: Statt die ausgefallene Leistung auf mehrere Ersatzlieferanten gleichmäßig zu verteilen, brachte der italienische Steuerungscomputer eine Sicherung nach der anderen zum durchglühen und das Land an den Rand des Zusammenbruchs. Eine ähnliche Lawine von Fehlsteuerungen war auch am August-Blackout in Nordamerika beteiligt. Trotzdem gilt eine Fremdeinwirkung durch Hacker oder Cyber-Terroristen als unwahrscheinlich – nicht, weil die Steuerungscomputer der Stromversorgung so modern wären, sondern weil sie so hoffnungslos veraltet sind. Da die meisten Geräte noch aus der computertechnischen Steinzeit stammen und nicht einmal einen Datenanschluss besitzen, sind sie gegen Computerviren immun.

Das dürfte sich jedoch bald ändern. Nach der Pannenserie dieses Sommers wird auf beiden Seiten des Atlantiks eine Modernisierung der Stromnetze gefordert. In den USA werden fieberhaft die veralteten, analogen Netzregler gegen digitale Systeme ausgetauscht – und dadurch angreifbar für Hacker und Stromsaboteure. Bereits im Januar gelang es dem auf Windows spezialisierten Wurm „Slammer", den Überwachungscomputer eines – glücklicherweise abgeschalteten – Kernkraftwerks in Ohio lahm zu legen.

Für einen Anschlag auf die Energieversorgung müssten die Viren nicht einmal in die Steuercomputer selbst eindringen. Es würde genügen, deren Kommunikation durch gezielte Überlastung des Datennetzes zu unterbrechen. Die Würmer „Slammer" und „Blaster", die dieses Jahr Hunderttausende von Windows-PCs infiziert haben, waren für eine solche „Denial of Service-Attacke" programmiert – allerdings nicht gegen die Energieversorgung, sondern gegen Microsoft. „Slammer" und „Blaster" wurden so programmiert, dass sie von Microsoft vorher publizierte Sicherheitslücken ausnutzen. Statt auf zugigen Hochspannungsmasten in den Schweizer Bergen herumzuklettern, könnten Stromsaboteure bald bequem bei Microsoft nach Sicherheitslücken recherchieren und dann vom Heimarbeitsplatz aus zuschlagen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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