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Stromerzeugung: Von Luft und Sonne leben

In der Nordsee ist ein Mega-Ökostromprojekt geplant. Die Milliarden Euro für die Stromerzeugung sind gut angelegt. Denn ob Gas, Erdöl oder Kohle: Die Abhängigkeit von Diktatoren und Feudalherren muss gemindert werden.

Nachhaltigkeit ist auch die Kunst, den richtigen Maßstab zu finden. Im 20. Jahrhundert konnte alles immer nur größer werden. Hochhäuser, Messezentren, Autobahnen, Flughäfen, Kraftwerke – überall stehen die Zeugnisse ungezügelten Fortschrittsglaubens. Auch die deutsche Energieversorgung ist in diesem Sinne organisiert. Einige wenige hundert Kraftwerke beliefern 82 Millionen Menschen – der Strom kommt aus der Steckdose.

Es scheint, als solle diese Gigantonomie jetzt auch bei den erneuerbaren Energien fortgeschrieben werden. Die Nordseeanrainerstaaten planen ein neues Stromnetz für 30 Milliarden Euro, das die Windenergie besser auf dem Kontinent verteilen soll. Noch größer ist die Dimension bei dem Projekt Desertec, für das die Wirtschaft sogar die unfassbare Summe von 400 Milliarden Euro mobilisieren will, um solarthermische Kraftwerke in der Sahara zu bauen und den Strom nach Europa zu leiten.

Doch sollte man sich von der Größe nicht blenden lassen. Mag sein, dass die Bürger künftig kleine Kraftwerke im Keller haben, Elektroautos als Stromspeicher fungieren und das Netz intelligenter und kleinteiliger wird. Aber der Industriestandort Deutschland wird, wenn er denn eine Zukunft hat, noch auf lange Sicht große Strommengen verbrauchen.

Die Atomkraft war die Antwort des 20. Jahrhunderts, aber niemand liebt sie, und selbst die neue Bundesregierung sieht sie nur noch als eine Brückentechnologie. Auch die Kohleverstromung stößt zunehmend auf Vorbehalte, wie das Beispiel Berlin gezeigt hat: Vattenfall zog die Pläne für ein neues Kohlekraftwerk zurück. Ohnehin ist Kohle angesichts des Klimawandels der falsche Weg, mindestens so lange, wie die Abscheidung und sichere Speicherung des anfallenden CO2 nicht gewährleistet ist.

Die Antwort des 21. Jahrhunderts werden die erneuerbaren Energien sein müssen, und das auch in großem Maßstab. Nordseestürme und Wüstensonne zu Strom zu machen – es gibt kaum lohnendere Projekte. Obendrein sprechen geopolitische Erwägungen dafür. Ob Gas, Erdöl oder Kohle – die Abhängigkeit von gelenkten Demokratien, Feudalherren und Diktaturen lässt sich mit Hilfe von Sonne, Wind und Wasser wirksam vermindern.

Die Welt ganz auf die ausschließliche Nutzung dieser drei Energieträger umzustellen, würde grob geschätzt Investitionen von 100 Billionen Dollar erfordern, haben die beiden US-Wissenschaftler Mark Jacobson und Mark Delucchi ausgerechnet.Wer dagegenhält, was all die CO2-Schleudern und Atommeiler über Jahrzehnte an Rieseninvestitionen verschlungen haben, der findet das vielleicht gar nicht einen so hohen Preis.

So gigantisch die neuen Projekte für die Nordsee und die Sahara auch sein mögen, so wenig ihr Erfolg garantiert ist – sie beflügeln die Fantasie, geben Impulse für ein neues Energiezeitalter und verdienen die volle Unterstützung von Industrie und Politik.

 Moritz Döbler

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