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Tabuthema: Afghanistan ist auch unser Krieg

Der Einsatz am Hindukusch neigt sich dem Ende zu. Eine Aufarbeitung des Afghanistan-Krieges ist längst überfällig. Einfach wird das nicht. Hat sich doch die Politik stets bemüht, die Realität des Einsatzes zu verschleiern.

Der Abzug aus Afghanistan ist beschlossene Sache. Am Montag erörtert eine internationale Konferenz in Bonn, wie es danach weitergehen soll – in Afghanistan. Eine Debatte darüber, wie die vergangenen zehn Jahre auch Deutschland verändert haben, steht noch aus. Die Bundeswehr hat am Hindukusch ihren ersten Kriegseinsatz erlebt. Tausende Veteranen – Männer und Frauen – haben dabei Erfahrungen gemacht, die in Deutschland sonst nur noch sehr wenige sehr alte Männer mit ihnen teilen. Versehrte und Traumatisierte sind darunter, die ein Leben lang gezeichnet sein werden. Sie treffen auf eine Gesellschaft, die Krieg mit dem Dritten Reich, mit grenzenlosem Unrecht verbindet und ihn entsprechend tabuisiert hatte. Nun müssen die Deutschen aushalten, dass ihre Soldaten in Afghanistan auch den Tod Unschuldiger verursacht haben, sei es, weil sie in gutem Glauben falsche Entscheidungen trafen, oder aber weil sie fahrlässig handelten. Urteilen müssen darüber deutsche Gerichte, doch die scheinen mit der Aufgabe bisher überfordert.

Deutschland hat heute wieder ein Ehrenmal für gefallene Soldaten und eine Tapferkeitsauszeichnung. Die Bundeswehr wird zu einer Berufsarmee umgebaut, auch das hat etwas mit Afghanistan zu tun.

Es spricht viel dafür, dass die Gesellschaft die Tragweite all dessen intellektuell noch gar nicht erfasst hat. Das ist ihr nicht anzulasten, denn die Politik hat sich stets bemüht, die Realität dieses Einsatzes zu verschleiern. Als der frühere Verteidigungsminister Peter Struck seine Formel „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ aufstellte, verschob er zwar den geografischen Bezugsrahmen deutscher Sicherheitspolitik, rhetorisch blieb er aber dem bundesrepublikanischen Selbstverständnis treu, wonach die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee ist. Bis heute tut sich die Regierung schwer, den Einsatz als das zu bezeichnen, was er ist: ein Krieg. Von einem bewaffneten Konflikt wurde da gesprochen, von „kriegsähnlichen Zuständen“. Der letzte Annäherungsversuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel lautete, die deutschen Soldaten seien „in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat“.

Die Realitätsverweigerung hatte für die Soldaten und ihre Angehörigen schlimme Konsequenzen. Der Umgang mit verletzten Soldaten und den Hinterbliebenen von Gefallenen war lange Zeit geradezu beschämend. Versehrte mussten mitunter jahrelang um Versorgungsansprüche kämpfen, wenn sei nach dem Einsatz nicht mehr diensttauglich waren. Manche fielen ins Nichts, materiell wie psychisch. Gefallene Soldaten immerhin werden inzwischen auch offiziell so genannt. 34 waren es bisher.

Zur Bilanz des Einsatzes gehört auch, dass Deutschland bescheidener geworden ist. Anfangs lautete das Ziel, in Afghanistan eine stabile Demokratie zu etablieren. Und die Deutschen dachten sogar, sie könnten das besser als andere. Wo US-Soldaten in Schnellkursen Polizisten ausbildeten, bauten sie erst einmal Polizeischulen und entwickelten Curricula. Weit gekommen sind sie damit nicht. Die Amerikaner allerdings auch nicht, wenn man ehrlich ist. Gescheitert sind letztlich alle zusammen.

Mehr Sensibilität, mehr Realismus und Ehrlichkeit sind für die Zukunft unabdingbar. Das bringt auch Länder wie Afghanistan letztlich weiter. Deutschland sollte nach dem Ende seines Einsatzes am Hindukusch aber noch einmal ganz grundsätzlich fragen, was es leisten kann und was es preisgeben will.

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