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Festakt zum Tag der Einheit in München.

© dpa

Tag der Einheit: Worauf das Haus gründet

Beim Staatsakt zur deutschen Einheit erinnerten Klaus Wowereit und Norbert Lammert an die europäische Einbettung unseres Landes, die Bedingung für die Einheit war. Beide Redner schlugen den Bogen zu einer fundamentalen Mahnung.

Nirgendwo in Deutschland kann man so deutlich wie in Berlin erkennen, wo dieses Land, wo diese Stadt heute ohne die Wiedervereinigung stünde. Im Westen wäre es ein vergreisendes Gemeinwesen, in dem außer einer überbordenden Verwaltung nichts blühte. Im Osten der endgültige Verfall einer sich selbst überlassenen Innenstadt, umgeben von Plattenbauten, von deren Balkonen man einstürzende Altbauten besichtigen könnte. Der Fall der Mauer, die staatliche Einheit, haben Berlin in besonderem Maße gerettet.

Dennoch ist es gut, dass am Tag der Einheit weder in München, beim offiziellen Staatsakt, noch in Frankfurt, wo der Regierende Bürgermeister sprach, innerdeutsche oder gar berlinische Nabelschau betrieben wurde. Sowohl die Rede von Norbert Lammert als auch die von Klaus Wowereit erinnerten, bei allem, was sie sonst unterschied, an die europäische Einbettung unseres Landes; daran, dass die Wiedervereinigung Deutschlands auch die Wiedervereinigung Europas sowohl als Voraussetzung wie auch als Folge hatte. Das klingt wie ein Widerspruch, aber ohne die Solidarnosc in Polen und ohne die Öffnung der ungarischen Westgrenze hätte die Freiheitsbewegung in der DDR nicht ihre Kraft gewonnen. Und ohne die friedliche Maueröffnung wiederum wären die kommunistischen Regime Ostmitteleuropas nicht zusammengebrochen.

Das einige Europa war die Bedingung für die Einheit Deutschlands. Helmut Kohl, dem diese Einheit nur gelang, weil er schon zuvor immer europäisch gedacht hatte, lebte diese Überzeugung. Es ist eine Überzeugung, die 22 Jahre danach, da Deutschland so stark und Teile dieses Europa so schwach zu sein scheinen, in Vergessenheit zu geraten droht. Norbert Lammert sagte, in Europa müssten wir heute keine Mauern mehr zum Einsturz bringen. Recht so. Aber eben auch aus lauter Überheblichkeit keine neuen Mauern bauen.

Dieses Land wäre nichts ohne den Großmut seiner europäischen Nachbarn. Das begann 1953 mit dem Londoner Schuldenabkommen. Darin wurden dem geschlagenen Deutschland nicht, wie im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg, wiederum erdrückende Zahlungen an die Siegermächte auferlegt, sondern die möglichen Reparationen vertagt auf den damals sehr fern erscheinenden Zeitpunkt eines Friedensvertrags. Als 1990 die Situation plötzlich da war, akzeptierten die Alliierten statt eines folgenschweren Friedensvertrags das von Deutschland vorgeschlagene Zwei-plus-Vier-Abkommen – ohne jegliche Reparationen. Die Basis dieser Einheit, die trotz des Hintertreibens durch François Mitterrand zustande kam, aber war Vertrauen. Das Vertrauen, das Helmut Kohl im übrigen Europa und bei Michail Gorbatschow wie bei George Bush senior genoss.

Wenn Vertrauen die einzige Währung ist, ohne die Europa wirklich nicht auskommt, sind Rechtsstaatlichkeit und Demokratie die Fundamente, auf denen es gründet. Deshalb ist es kein Zufall, sondern logischer Schlussstein, dass sowohl der Sozialdemokrat Klaus Wowereit als auch der Christdemokrat Norbert Lammert in ihren Reden den Bogen zu einer Mahnung schlugen: Dieses Europa darf keines sein, in dem Märkte statt der Parlamente regieren, und das Recht muss stets den Vorrang vor dem ökonomischen Kalkül haben. Da das nicht nur für Europa, sondern zunächst einmal für das glücklich wiedervereinigte Deutschland gilt, war der 3. Oktober das richtige Datum, daran zu erinnern.

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