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Meinung: Tischrede: 15 000, Mindestlohn: 8,50

Die Genossen werden am Sonntag Peer Steinbrück wählen, aber wohl ist vielen nicht dabei.

Von Antje Sirleschtov

Am Sonntag wird die SPD Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten wählen, und eines ist sicher: Die Reihen werden geschlossen sein, Steinbrück wird bestimmt mit 98 Prozent der Stimmen merkelsche Zustimmung bekommen. Da werden die Genossen nicht zurückstehen. Schließlich geht es darum, die Bundestagswahl zu gewinnen. Dazu braucht der Mann an der Spitze kräftig Rückenwind. Umso mehr, da die Stimmung draußen im Land nicht aufmuntert. Die Kanzlerin ist beliebt, man vertraut ihr, wozu tauschen?

Es wird schwer für Steinbrück und seine Partei. Zunächst glaubten viele, der ehemalige Finanzminister wäre so etwas wie ein geborener Herausforderer. In der Finanzkrise hatte Steinbrück bewiesen, dass er sich in den Finanzmärkten der Welt und mit großen Zahlen auskennt. Und mit seinen Plänen, die Banken an die Kandare zu legen und die Reichen für die Krise bezahlen zu lassen, schien ein starker Mann mit einem starken sozialdemokratischen Thema als Alternative zu Merkels Trippelpolitik auf die Bühne zu treten.

Doch wer, außer ein paar Branchenkennern, versteht schon den Unterschied zwischen Merkels und Steinbrücks Branchenregulierungsplänen? Und warum sollte man Merkel nach Hause schicken, wenn ihr Herausforderer die Euro-Krisen-Politik der Kanzlerin so überzeugend findet, dass er sogar seine Fraktion dazu überredet, ihr im Bundestag zuzustimmen? Für einen Oppositionsführer mag der Vorwurf, Merkel sage den Leuten nicht die Wahrheit über die Kosten der Euro-Rettung, sowie der Hinweis, man stimme den Griechenlandhilfen nur aus europapolitischer Verantwortung zu, gerade noch überzeugend sein. Für einen Herausforderer ist er zu schwach. Geschieht nicht noch etwas Gravierendes, wird Steinbrück Merkel mit dem Thema Krisenpolitik nicht aus dem Amt jagen können.

Er braucht also ein neues und überzeugenderes Thema. Auf der Agenda der SPD ließe sich da vieles finden. Oberbegriff: Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Von mangelnder Chancengleichheit aller in der Gesellschaft bis hin zu Ungerechtigkeiten im Einkommen und bei der Rente gibt es ausreichend Argumente, mit denen ein SPD-Kanzlerkandidat das Ende der Ära Merkel herbeikämpfen könnte.

Doch ist ausgerechnet Steinbrück der richtige Absender solcher Botschaften? Bei der Suche nach einer Antwort darauf kommt Gerhard Schröder ins Spiel. Auch der Altkanzler stand einst für klassische sozialdemokratische Politik. Doch woran erinnern sich die Leute heute noch? An seine teuren Brioni-Anzüge, dass er sich mit russischem Erdgas eine goldene Nase verdient. Und: dass er den Menschen gleichzeitig Hartz-IV und 400-Euro-Jobs gebracht hat. Man kann verstehen, dass gerade die älteren Anhänger der SPD sehr sensibel geworden sind, wenn einer auf der Bühne laut von Gerechtigkeit spricht und sich dann an den feinen Tisch der reichen Leute setzt. Es geht um Charakterfragen, es geht schlicht um Glaubwürdigkeit.

Genau das aber hat Steinbrück bis heute nicht verstanden. Kritik an seinen ausgedehnten Vortragsreisen und den Millioneneinnahmen dafür weist er genervt als Neiddebatte zurück, die in Wahrheit seiner Partei schaden soll. Doch darum geht es überhaupt nicht. Was Steinbrück unterschlägt, ist der Kern des Problems. Seines Problems: Man kann nicht erst Schweizer Banken der Beihilfe zur Steuerhinterziehung und der Gier bezichtigen und sich dann 15 000 Euro für eine Tischrede von eben diesen Banken bezahlen lassen. Einem CDU-Mittelstandspolitiker oder FDP-Chef Philipp Rösler lässt so etwas die eigene Klientel durchgehen. Bei einem Sozialdemokraten, der Mindestlöhne von 8,50 Euro einzuführen verspricht, wirkt das unglaubwürdig, unehrlich. Ganz gleich, ob die Bank verspricht, das Honorar später an Waisenhäuser zu spenden.

Steinbrück hätte das frühzeitig allein erkennen oder sich Berater suchen müssen, die das für ihn tun. Und nicht darauf setzen dürfen, dass die Genossen am Sonntag keine Alternative zu ihm haben und deshalb tapfer die Zähne zusammenbeißen werden.

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