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Mangelnde Hygiene im Krankenhaus: Tödliche Keime

Intensivstationen für Neugeborene brauchen neue Hygieneregeln

In Bremen sind seit August drei Frühgeborene an einem resistenten Krankenhauskeim gestorben, bei 12 weiteren Kindern wurde der Erreger nachgewiesen. In der Mainzer Uniklinik gelangten Bakterien, auf bis heute unbekanntem Weg, in eine Infusionslösung und töteten im August 2010 drei Babys. Bereits im Januar 2010 gab es, wie erst jetzt bekannt wurde, in Hamburg einen ähnlichen Zwischenfall: Im Altonaer Kinderkrankenhaus starben zwei Frühgeborene an resistenten Krankenhauskeimen.

Die Ausbrüche gefährlicher Krankenhauskeime auf Neugeborenen-Intensivstationen nehmen zu. Unklar ist allerdings die Größe der Dunkelziffer: Nicht alle im Krankenhaus erworbenen („nosokomialen“) Infektionen werden bemerkt. Nicht alle festgestellten Infektionen werden gemeldet. Nicht alle den Behörden bekannten Ausbrüche gelangen an die Öffentlichkeit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die jetzt bekannt gewordenen „Hygieneskandale“ nur die Spitze des Eisberges.

Dabei spricht vieles dafür, dass skandalöse Verstöße gegen Hygienerichtlinien eher die Ausnahme sind. Das Klinikum Bremen-Mitte wird genau erklären müssen, wie ein bereits im Juli identifiziertes Bakterium der Gattung „Klebsiella“ noch monatelang auf der Frühgeborenenstation wüten konnte. Die meisten nosokomialen Neugeborenen-Infektionen sind jedoch Einzelfälle, die trotz Einhaltung der Hygieneregeln auftreten.

Schuld an der bedrohlichen Zunahme der Infektionen ist eine neue Art resistenter Keime, denen mit den derzeitigen Hygienestandards nicht beizukommen ist. Diese sogenannten „ESBL-Bakterien“ entstehen aus ganz normalen, harmlosen Darmkeimen, wenn Patienten mit Antibiotika behandelt werden. Um sich vor den chemischen Keulen zu schützen, mutieren die Darmbewohner und produzieren Antibiotika zersetzende Enzyme. Die neuste Waffengeneration der Mikroben heißt „extended Spectrum Betalaktamase“ (ESBL). Mit ESBL ausgestattete Bakterien sind multiresistent, also gegen fast alle verfügbaren Antibiotika unempfindlich.

Ein Grund für die Zunahme der ESBL-Infektionen bei Neugeborenen ist, dass die Hygienemaßnahmen ursprünglich gegen ganz andere Keime entwickelt wurden. Bis vor kurzem galten noch MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) als größte Infektionsgefahr im Krankenhaus. Gegen diese resistenten Eitererreger, die sich bei Patienten und Klinikpersonal auf der Haut und im Nasenraum ansiedeln, haben sich die derzeitigen Hygieneregeln für Neugeborenen-Intensivstationen als wirksam erwiesen (sofern sie eingehalten werden). Weil Kontakt zu den Eltern für die neurologische und psychologische Entwicklung wichtig ist, gilt heute die Regel: „Minimale Intensivtherapie, maximale Zuwendung“. Studien haben gezeigt, dass stillende Mütter, ein- und ausgehende Geschwister und sogar die „Känguru- Pflege“ auf dem nackten Oberkörper der Eltern in der Intensivstation keine Infektionsrisiken darstellen. Auch Mundschutz und Kittel sind überflüssig, wenn die Hände richtig desinfiziert werden.

Diese, im Hinblick auf MRSA entwickelten Hygienestandards müssen jetzt jedoch überdacht werden. ESBL-Bakterien werden anders übertragen als MRSA, die Infektionswege im Krankenhaus sind noch nicht vollständig geklärt. Frühgeborene sind gegen bestimmte ESBL-Bakterien extrem empfindlich, bereits kleinste Verunreinigungen können zu schweren Erkrankungen führen. Da ESBL-Bakterien gewöhnlichen Darmbewohnern ähneln und meist nicht auf der Haut sitzen, lassen sie sich nur schwer nachweisen. Zudem tragen Neugeborene im Krankenhaus häufiger ESBL-Bakterien im Darm, ohne dass es zu Erkrankungen kommt. Bei MRSA werden solche „gesunden Keimträger“ vorsorglich mit speziellen Antibiotika behandelt, um die Ausbreitung auf der Station zu verhindern. Bei ESBL-Keimen ist dies jedoch nicht möglich, weil die wenigen geeigneten Antibiotika starke Nebenwirkungen haben.

Die exzessive Anwendung von Antibiotika hat Killerkeime hervorgebracht, vor denen Neugeborene nur durch strengere Hygiene geschützt werden können. Für die Eltern wird es dann noch mühevoller, ihren Kindern auf der Intensivstation die dringend notwendige Zuwendung zu geben.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J.Peyer

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