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Meinung: Tödliche Routine

Tollwut ist hier zu Lande selten, das kostet jetzt Menschenleben

Alexander S. Kekulé Das Häufige ist häufig, das Seltene selten“, lautet einer der Leitsprüche in der Medizin, die etwas hausbacken klingen, sich aber in der täglichen Praxis bewahrheiten. Tollwut ist in Deutschland extrem selten, so wurde die tödliche Infektion bei einer Organspenderin am Mainzer Uniklinikum übersehen. Zwei der sechs Organempfänger starben bisher. Einer hat möglicherweise Glück gehabt, weil er zufällig gegen Tollwut geimpft war. Zwei Empfänger von HornhautTransplantaten müssen noch wochenlang bangen, ob das Virus bei ihnen ausbricht.

Für den Direktors der Uniklinik ist das ein „bedauerlicher Ausnahmefall“, der nicht zu verhindern war: „Diagnostik einer möglichen Tollwuterkrankung im Vorfeld einer Transplantation ist unmöglich.“ Die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die für die Organisation der jährlich etwa 4000 Transplantationen in Deutschland zuständig ist, pflichtet ihm bei.

Eine andere ärztliche Binsenweisheit heißt: „Die Diagnose ist das Tor zur Therapie.“ Ohne die richtige Diagnose ist das Bemühen des Arztes meist umsonst. Da beginnt die Problematik des Mainzer Falls. Am ersten Weihnachtstag geht eine 26-Jährige in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus, weil sie starke Kopfschmerzen und Kribbeln in den Fingern hat. Die am Feiertag Dienst habenden Ärzte bringen dies in Zusammenhang mit einer Einnahme von Kokain und Ecstasy am Vortag. Wer denkt im winterlichen Rheinland- Pfalz schon an eine Tierseuche aus Indien? Am 27. Dezember überschlagen sich die Ereignisse: Die Patientin bekommt plötzlich Fieber, fällt ins Koma, ihr Herz bleibt vorübergehend stehen. Mit dem Drogenkonsum an Heiligabend kann das nichts mehr zu tun haben.

Auf der Intensivstation der Uniklinik Mainz arbeiten keine Amateure. Sie tippen sofort auf eine Infektion des Gehirns (Enzephalitis), zumal die neurologischen Symptome dazu passen. Doch die Labortests auf die üblichen Viren und Bakterien, die in Deutschland häufig eine Enzephalitis verursachen, bleiben ohne Ergebnis. Am 31. Dezember attestieren zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod, die junge Frau wird zur Organspende freigegeben.

So stehen zwei Fragen unbeantwortet im Raum. Erstens zur Diagnose, dem „Tor zur Therapie“. Im Falle der Organspenderin waren Diagnose und Todesursache unbekannt. Die Ärzte vermuteten eine Infektionskrankheit des Gehirns, konnten aber keinen Erreger identifizieren. Der Nachweis des Tollwutvirus dauert zwar einige Zeit, ist aber keineswegs „unmöglich“. Dass niemand auf Tollwut kam, hat möglicherweise mit dem bekannten Defizit bei der Ausbildung in klinischer Infektiologie zu tun. Gefragt werden muss aber, warum eine Organspenderin freigegeben wird, obwohl die Ursache des Komas unklar und eine Infektionskrankheit nicht unwahrscheinlich ist? Außer Tollwut hätte es ja auch eine seltene Tropenkrankheit sein können. Zudem ist Tollwut als Risiko nicht unbekannt: Bereits achtmal wurde sie durch Hornhaut-Transplantationen übertragen. In den Richtlinien steht klipp und klar, dass Personen mit einer „unklaren neuronalen Erkrankung“ oder einer „Infektion unklarer Ursache“ als Spender nicht in Frage kommen.

Die zweite Frage ist noch heikler, sie betrifft ein ethisches Kernproblem der Transplantationsmedizin: die Feststellung des irreversiblen Hirntodes. Weil bekannt ist, dass Infektionskrankheiten die neurologischen Zeichen des Hirntodes zum Teil vortäuschen können, muss nach den Richtlinien eine „entzündliche Erkrankung“ als „mögliche Ursache oder Mitursache des Ausfalls der Hirnfunktion“ ausgeschlossen werden, bevor der Hirntod attestiert wird. Enzephalitis-Patienten können noch nach Monaten aus dem Koma wieder aufwachen. Gerade bei der Tollwut machte vergangenen Dezember der Fall eines Mädchens in den USA Furore, das durch ein künstliches Koma (und das Virusmittel Ribavirin) auf wundersame Weise gerettet wurde.

Falls Fehler gemacht wurden – was keineswegs feststeht –, dürfen sie nicht unter den Teppich gekehrt werden. Denn auch das ist eine Binsenweisheit: Aus Fehlern lernt man.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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